Montag, 22. August 2016

Nie wieder Nationalismus #1


 Diesen Beitrag habe ich viel zu lange vor mir hergeschoben. Das hat eigentlich nur einen einzigen erschreckenden Grund: Immer wenn ich meine Ablehnung gegen Nationalismus zum Ausdruck brachte, gingen meine Gegenüber auf mich los, als würde ich sie mit Scheiße bewerfen. Dennoch möchte ich dieses Fass heute aufmachen. Vor über einem Jahr bin ich auf meinem Blog wegen eines ähnlichen Themengebietes schonmal von Mitlesenden angefeindet worden. Von mir gibt es dafür nur vollkommenes Unverständnis. Schon damals meinte ich, dazu mal was erzählen zu müssen. Heute also: Warum Nationalismus aus meiner Sicht kacke ist. Teil 1, denn ich denke, dass das noch nicht alles aus der Sicht gewesen sein wird.
 Fangen wir mal bei mir persönlich an. Vor kurzem war ja wieder so ein Fußballgroßereignis. Überall wurden freudig Nationalfahnen geschwenkt, Essen in schwarz-rot-scheiße auf diversen Blogs präsentiert und Fingernägel in einer ebensolchen Farbe angestrichen. Mir kommt dabei immer alles wieder hoch. In meinem Fall liegt das vermutlich zunächst mal an meinem Großwerden mit Nationalismus und dem deutschen im Speziellen. Ich gehöre zu dieser Sorte Mensch, denen deutsche Nationalflaggen und -hymne immer nur auf der Straße begegneten. Meistens in Form der ewig gestrigen, die ausländerfeindliche Parolen gröhlend durch Innenstädte spazierten. Ich stand auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung. Nicht selten mit Schissbüx vor Gewalt, seitens der Nazis und der Polizei. Aber ich wusste, dass es richtig und wichtig ist, trotz Schiss in der Büx auf die Straße zu gehen, laut zu sein und das zu verhindern. Ich glaube zutiefst daran, dass uns solcherlei Erfahrungen in Verbindung mit Gefühlen sehr prägen. Schwarz-rot-scheiße und die dazugehörige Hymne lösen bei mir nur Angst, Wut und Hilflosigkeit aus. Wie also soll ich mich heute an (vermeintlicher) Fußballbeflaggung erfreuen? Im übrigen ist es durchaus differenziert zu betrachten, ob man aus Fußballgründen eine schwarz-rot-scheiße oder Bayern, Pauli, Köln, Leverkusen oder welche Vereinsfahne auch immer man schwenkt. Man könnte meinen, es gäbe einen Unterschied, ob man eine Nationalfahne aus fußballerischen oder aus nationalistischen Gründen schwenkt. Nein. Die Inhalte und Zusammenhänge, kleben an der Fahne, wie Hundescheiße am Schuh. Kein Unterschied. Es steckt zuviel böse Geschichte in den drei Deutschlandfarben. Und kommt mir nicht mit: Aber Deutschland hat auch so viel gutes geschafft. Ich kacke auch nicht da, wo ich esse. 


 Aber bevor mir hier vorgeworfen wird, ich sei ein Spielverderber im Hinblick auf das Schwenken der deutschen Nationalflagge, begebe ich mich auch gerne nochmal auf erweitertes Terrain. Die deutschhistorische Keule schwingen, ist in diesem Falle sehr einfach, zwar auch richtig, aber eben auch sehr platt. Grundsätzlich lehne ich das Konstrukt von Nation in Gänze ab. Ich bin mehr so der "no borders, no nations" Typ. Grenzen sind Konstrukte. Und bisher ist mir noch kein Grund eingefallen, wozu sie gut sein sollen. Es mag evtl. Sinn machen so etwas wie Verwaltungsbezirke einzuteilen, aber Nationalgrenzen sind ja nunmal so viel mehr. Menschen können es sich nicht aussuchen, innerhalb welcher Grenzen sie geboren, großgezogen und leben werden. Nation im Hinblick auf Individuen ist immer eine Sache von Glück, Pech, Zufall, Willkür. Wie es um die Nation gestellt ist, in der man lebt, kann man selten vorhersehen, ebensowenig einfach so ändern. Zugehörigkeit zu einer Nation öffnet oder schließt Türen ebenso willkürlich. Sie entscheidet über medizinische Versorgung, Krieg, Frieden, Bildung, Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Willkürlich. Es ist einfach in einer Nation zu leben, in der man von Anfang an gut versorgt ist. Dazu kommt, dass diese Einteilung von Menschen in Nationalitätszugehörigkeit zu stapelweisen Konflikten im Großen und im Kleinen führt. Es konstruiert ein "wir" und ein "die", welches ebenso willkürlich ist, wie die entsprechende Zugehörigkeit. Vorurteile, Diskriminierung, Überbevorteilung.... Dabei sind es immer Menschen. Zudem sind Nationalgrenzen immer mindestens einmal geographische und einmal ideologische Grenzen. Ach und es komme mir keiner mit sprachlichen oder gar kulturellen Gemeinsamkeiten von Menschen einer Nation. Einige Dialekte fordern im deutschen Sprachraum selbst mich heraus, der christliche Glaube geht mir sowas von ab. Ich kann in diesem Zusammenhang nur sicher vom deutschen Sprachraum sprechen, allerdings halte ich all diese Dinge gleichermaßen für alle Nationen als gültig. Es ist mir wumpe, ob der französiche, der us-amerikanische, der schwedische oder jeglicher anderer Nationalismus abgefeiert wird. Grenzen sind Konstrukte, die nur für Menschen gelten. Wasser, Luft, Tieren, Pflanzen sind Grenzen herzlich egal. Alle Lebewesen sind freier als der Mensch. Der Mensch baut sich seine Grenzen für vieles selber. Erscheint nicht besonders schlau, was? Ist es bei so viel Willkür nicht vielleicht auch ein bisschen unschlau, darauf "stolz" zu sein, Nation X oder Y anzugehören? Gäbe es nicht zig andere Dinge, für die man vielleicht wirklich gearbeitet hat, stolz zu sein oder die man als Teil seiner Identität nennen kann? Und um auf die Fähnchen zurückzukommen: Fähnchen in Nationalfarben sind die farbliche Sichtbarmachung dieser Grenzen. Also packt die Fahnen, die Nagellacke weg und werft euer Essen wieder anständig auf den Teller. Vermutlich sind meine Emotionen, die ich mit Nationalismus verbinde ja auch gar nicht so falsch und ich habe im Hinblick auf meine Sozialisation indem Zusammenhang wirklich Glück gehabt. Um das Känguruh von Marc-Uwe Kling zu zitieren: "Es gibt also nur kranken Patriotismus. Gesunder Patriotismus klingt für mich ein bisschen wie gutartiger Tumor. Es ist vielleicht nicht direkt lebensgefährlich, aber es ist immer noch ein Tumor." Auch wenn es kleine feine Unterschiede zwischen Patriotismus und Nationalismus gibt, lasse ich das erstmal so stehen und vielleicht wirken. Und bei Gelegenheit gibt es sicherlich noch die zig anderen Gründe, warum Nationalismus, Patriotismus und Co. nichts in Köpfen und Herzen, auf Stoff, Nägeln und Esstischen zu suchen hat.

7 Kommentare:

  1. Word!
    Sehe ich ganz ähnlich: Wie kann man auf etwas stolz sein, das das reine Resultat aus Zufall und vielen Kämpfen ist?

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    1. und vor allem dinge, zu denen man selbst am besten nichts beigetragen hat...
      danke!
      jule*

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  2. Liebe Frau jule,
    Voll der gute Text! Danke dafür.
    Liebe grüße lisa*

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  3. So wahr! Manchmal gar nicht so einfach, wenn der 6jährige als großer Fußballfan diese Hymne singt und die Eltern seiner Freunde das Auto in dieser (objektiv betrachtet wirklich scheußlichen) Farbkombi dekoriert durch die Gegend fahren. Ist aber immer eine gute Gelegenheit, den Kindern zu erklären, warum sie unbedingt andere Lieder singen und das Fahneschwenken seinlassen sollten. Mir kräuselt sich das Nackenhaar bei egal wie geartetem Patriotismus und es ist so gut, dass es immerhin noch Leute wie Dich gibt, die den Mund aufmachen!
    Lieben Gruß, Katrin

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    1. ja, kinder sind da echt so ein thema... aber früh übt sich, wer ein kritischer kopf werden möchte.
      liebe grüße,
      jule*

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  4. Ich bin so dankbar keinen Fußballfan geheiratet und gezeugt zu haben. Wenn ich in der Kita diesen Flaggen-und Fussballwahn schon bei den kleinen Krümeln sehe wird mir schon Angst. Doch wie bei allem ist auch Fanatismus bei den Großen abgeschaut und nachgemacht. Kein gutes Vorbild.

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