Montag, 28. Dezember 2015

Der inklusive Montag: Gedanken zum Jahresende


 Der inklusive Montag findet hier mehr oder weniger regelmäßig statt. Hier gebe ich einen kleinen Einblick in die vielseitigen Chancen und Möglichkeiten, die die Inklusion mit sich bringt. Wer nochmal nachlesen möchte, was Inklusion überhaupt bedeutet, kann das hier nochmal tun. Grundsätzlich soll es um die guten Seiten gehen, um das was schon funktioniert und um das wo sich noch etwas ändern muss. Hier soll nicht gemeckert, sondern angepackt und sich gefreut werden. Anzumerken ist zum Schluss, dass ich "nur" eine Seite der Inklusion beleuchten kann, da ich "nur" Sonderpädagogin bin. Aber vielleicht finden sich ein paar Menschen, die gastbloggen möchten. In diesem Falle bitte gerne bei mir melden.
 Thema heute: Gedanken zum Jahresende


 2015, die Inklusion und ich sind nur bedingt gut zusammen gelaufen. Ich möchte hier lediglich einen kleinen Rückblick auf meine mehr oder weniger inklusiven Erfahrungen des vergangenen Jahres werfen.
 Anfang des Jahres begann in der Hinsicht schonmal total neben der Spur. Knapp zwei Jahre habe ich eine Familie im Rahmen von "Hilfen für Familien mit behinderten Kindern" -kurz HfbK- begleitet. Beratung, Betreuung, Entlastung, Hilfe beim Ausfüllen von FormularenFormularenFormularen. Ich mochte die Familie, das Kind, die Tätigkeit. Eine tolle Ergänzung zu meinem Schuljob. Die Mutter der Familie konnte lange Zeit krankheitsbedingt nicht arbeiten und war Ende vergangenen Jahres froh, endlich einen 400€- Job ergattert zu haben. Für die Familie hieß das aber, dass sie 300€ Eigenleistung zu meiner Tätigkeit betragen müssten, da sie vom Amt wegen des zusätzlichen Einkommens neu eingestuft wurden... Wir waren alle sprachlos. Die Familie entschied sich schweren Herzens gegen die Finanzierung meiner Tätigkeit. Es war ja auch nun nicht so, dass auf meiner Rechnung am Ende des Monats dieser Betrag stand. Dickes Geld habe ich da nicht verdient, aber darauf kam es ja auch nicht an. Der Abschied fiel uns allen nicht leicht, schließlich ging ich knapp zwei Jahre wöchentlich bei ihnen ein und aus, kannte ihre Geschichte und wir haben einiges zusammen erlebt. Dass hierzulande Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern sehr schwerfällig läuft liest man ja öfter. So krachte diese Erkenntnis schwer in unser Leben.
 Was meine kleine Nebentätigkeit anging, konnte ich zumindest an anderer Stelle Fuß fassen. Schon lange besuchte ich mit meinem Betreuungskind einen Jugendtreff für behinderte Jugendliche. Hier wurde eine neue Leitung gesucht und da sich bei mir ein kleines Zeitfenster geöffnet hatte und ich mich gut mit der bisherigen Leitung verstand, schlug ich zu. So tauschte ich die Einzelbetreuung gegen eine Gruppe. Mein ehemalige Betreuungs"kind" kommt auch noch hin und wieder vorbei, so dass der Kontakt nicht ganz abgerissen ist. Leider verließ mein Kollege im Sommer berufsbedingt den Jugendtreff. Seit dem leite ich ihn alleine, was bisweilen etwas anstrenged ist. Eine zweite Leitung zu finden, gestaltet sich als äußerst schwierig. Der Jugendtreff ist grundsätzlich erstmal nicht inklusiv ausgelegt, allerdings sind die Ansprüche der Jugendlichen dort so unterschiedlich, dass ich da auch gerne von inklusiv spreche. Zudem tun wir uns in letzter Zeit öfter mit den Jugendlichen aus dem benachbarten Jugendtreff zusammen, da die in ihren Räumen nunmal den Kicker, den Billardtisch und die Tischtennisplatte stehen haben. Es ist ein zaghaftes Annähern von beiden Seiten, aber es wird. Ich liebe diese Stunden. Sie zeigen mir jede Woche, dass es noch Hoffnung gibt.


 Und sonst? Nach fünfeinhalb Jahren Inklusion in meinem Brotjob, musste ich kurz vor Ferienbeginn noch ein paar ganz fiese Kreuzchen auf dem Bullshitbingobogen machen. Und ich merke, dass es mir mehr und mehr an die Nieren geht. Das mag vor allem daran liegen, dass man sich gerade dort doch wenigstens professionell mit dem Thema auseinandersetzen sollte. Meine ich. Zudem bin ich irgendwie immer ein bisschen ratlos, wenn Mitlehrende das Thema Inklusion als zusätzliche "Belastung" empfinden. Das wäre so, als wenn ich als Sonderschullehrerin sagen würde: "Boah, diese ganzen Gymnasiasten, die können ja richtig was. Die denken kritisch, arbeiten unfassbar schnell und können gerade Sätze schreiben. So viel Unterrichtsmaterial kann ich gar nicht zur Verfügung stellen. Dafür bin ich nicht ausgebildet..." Aber mal im Ernst? Ich mag den wichtigsten Teil meines Jobs -das inklusive Unterrichten- wirklich sehr. Ich möchte mein Leben nichts anderes mehr tun. Als zunehmende Belasung empfinde ich den Umstand, dass immer noch gemeint wird, dass SonderpädagogInnen für die Inklusion zuständig seien. Meistens habe ich mehr das Gefühl, mein Job besteht darin, die behinderten Lernende vor den Lehrenden zu schützen. Zu vermitteln, dass diese Lernenden keine "Belastung" sind. Es ist aber auch nicht immer schlimm. Es gibt diese fabelhaften Stunden mit fabelhaften Mitlehrenden. Stunden, in denen alles fließt, ineinandergreift, an deren Ende wir uns High Five und einen Orden geben, weil wir alle Lernenden mitnehmen konnten, uns ergänzt haben, keine Lücken entstanden, die Stunde rockte. Zusammen. Diese Stunden sind leider sehr rar gesät. Im Großen und Ganzen hatte ich eher den Eindruck, dass viele Schritte rückwärts gemacht wurden. Und bei den betroffenen Lernenden spreche ich "nur" von den Förderbedarfen "Lernen" und "emotionale und soziale Entwicklung".... Harmlos. Echt jetzt. Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich habe keine Lust und keine Kraft mehr an dieser Front zu kämpfen. Meine Zeit an diesem Ort läuft ab. Noch ein halbes Jahr. Ich freue mich. Ich freue mich auch darauf, dass ich dann die Möglichkeit habe, mir andere Orte anzusehen und in Ruhe ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen. Inklusion ist großartig und es macht mir Spaß inklusiv zu arbeiten, zu leben, aber ich würde gerne in einem Umfeld arbeiten, das das auch so sieht.
 Ich habe im vergangenen Jahr viele gute Bestätigungen dafür bekommen, dass es das richtige ist, was ich tue, dass Inklusion eine super Sache ist, dass ich dafür kämpfen will und muss und dass ich das gerne im schulischen Rahmen mache. Aber dass ich eben dabei auch ein bisschen auf mich aufpassen muss. Die Dinge nicht so sehr an mich heranlassen. Dabei habe ich immer noch leicht reden... Ich mag gar nicht daran denken, wie es Menschen geht, die wirklich auf gelungene Inklusion angewiesen sind. Möge 2016 erfolgreicher sein... Und mal sehen, wie lange es noch dauert, bis es rund läuft.

4 Kommentare:

  1. Da musste ich gerade an eine Situation vor kurzem denken: ich komme in eine Klasse um kurz mit der Lehrerin was zu besprechen. Es ist gerade förderunterricht mit 6 Kindern. Die Lehrerin zu mir, während die Kinder daneben sitzen: "Wissen Sie, Unterricht mir 24 normalen Kindern ist ja kein Problem. Aber dieser förderunterricht, wo dann nur so ein paar gestörte auf einem Haufen sitzen..." Mir ist glaub ich echt der Mund offen stehen geblieben. Arme Kinder!

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  2. Ich drücke dir die Daumen, dass das für 2016 mit dem dicken Fell besser klappt. Ja, es ist schon irre, wie schwer es gemacht wird, Menschen hierzulande zu unterstützen. Meine Cousine ist Lehrerin an einer Gesamtschule und ziemlich begeistert darüber, wie gut die Inklusion bei ihr an der Schule dieses Jahr geklappt hat. Allerdings hat sie sich auf die Herausforderung im Gegensatz zu vielen Kollegen auch gefreut. LG mila

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  3. Schön: Das meine Frage aus der letzten SMS hier beantwortet wird.

    Gar nicht schön: Das Du solche Erfahrungen machst bzw. das die Realität leider alles andere als Inklusiv ist

    Sehr schön: Das Du weiter kämpfen willst!!!

    Wünsche Dir nur das Beste!!!
    Liebst
    M.

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