Donnerstag, 16. Januar 2020

Ohne POWER auf dem Küchenfußboden


[Triggerwarnung: Einsamkeit] 

 Und dann gibt es sie, diese Stunden. Diese Stunden in denen die Welt mir vor die Füße fällt, mein Leben auf mich herniederprasselt und ich dem schutzlos ausgeliefert bin. Dann gibt es diesen Moment, wo ich es gerade noch mit Müh´ und Not und auf den letzten Atemzug in meine vier Wände schaffe, vielleicht noch die Schuhe von den Füßen geschoben und die Jacke heruntergeschüttelt. Dann knüppelt es mir die Knie weg, dann sprudeln die Verzweiflung, die Kraftlosigkeit und die Tränen wie eine Fontäne nach oben und dann muss ich mich hinlegen. Sofort. Jahreszeit egal. Ich kann das im Frühling, Sommer, Herbst und Winter und der Winter macht es nicht schlimmer.


 Der beste Ort um dann  zu liegen ist bei mir immer der Küchenfußboden. Die Küche hat etwas. Da wohnen die energiespendenen Nahrungsmittel, der Kaffee und der Tee. Dort steht fest und massiv die Küchenzeile. Da liegt dieser Flickenteppich auf den Boden, auf den ich dann sinke. Und es laufen lasse. Dann brodelt der Schmerz hoch, alle Ängste, alle Hoffnungslosigkeit, alle Perspektivlosigkeit, alle fehlende Solidarität. Die ganze lebenslang gesammelte Einsamkeit. Dann zieht es an allen Körperwindungen, dann fällt das Atmen schwer, dann sprudeln die Tränen und ich liege da. Winde mich vor Schmerz, weine, schluchze. Höre nicht die Rettungswagensirenen und schreienden Kinder vor dem Fenster, die wütend hupenden Autofahrenden an der Kreuzung.


 Dann weiß ich nicht, wie ich jemals wieder aufstehen soll. Egal wie groß der Hunger, der Durst oder was sonst noch alles zu erledigen ist. Das ist dieser Zustand, in dem ich mir wünsche, dass jemand da wäre, der mich vom Boden kratzt. Der mir eine Hand reicht. Ich bin dann unfähig auch nur eine Nummer zu wählen von all den lieben Menschen, die es mir für solche Situationen angeboten haben. Auch wenn das Telefon in Reichweite ist. Dann reicht es nicht einmal mehr zum Knöpfe drücken oder Display wischen. Dann ertrinke ich in den Emotionen und in stechendem Schmerz. Dann will ich nie wieder aufstehen, nie wieder fühlen, egal was, nicht mehr atmen. Dann ist der einzige Halt den ich noch habe die Küchenzeile an die ich mich so oft ranrolle.


 Bisher ist das alles offensichtlich immer wieder vorbei gegangen. Spätestens nach drei Stunden bekomme ich es dann hin. Irgendwie. Es nützt ja nichts. Es wird niemand kommen. Irgendwann wird das Leid zum Selbstmitleid und das kann ich dann nicht leiden. Dann zuckt es vorsichtig. Dann muss der Rest des Tages aber so energieschonend wie möglich von statten gehen. Dann funktioniert höchstens Dosenfutter, Musik auf dem Sofa, frühes schlafen gehen. Es gibt diese Momente. Sie sollten nicht zum Leben gehören. Ich kann die guten Momente auch ohne die schlechten erkennen. Aber es gibt sie. Ich muss dann immer aufpassen, dass das Selbstmitleid nicht in Selbsthass umschlägt, weil ich so ein Jammerlappen bin. Dann muss ich diese Stunden akzeptieren, darf sie trotzdem scheiße und unnötig finden.


  Der Grat zwischen alleine sein und einsam sein, ist nur verdammt schmaler und die Balance an manchen Tagen wahrhaft schwer zu halten. Da helfen Handarbeit, Arbeit und politischer Aktionismus auch nur noch bedingt. Vor allem wenn in einem der letztgenannten die dringend notwendige Solidarität fehlt. Und weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Menschen teilweise wirklich schockiert sind, wenn ich vor ihnen in Tränen ausbreche, mache ich das hiermit auch mal öffentlich. Das alles kratzt keineswegs an meinem Selbstbild der starken Powerfrau. Ganz im Gegenteil. Ich kann ja auch nicht immer nur den Mist von anderen aufräumen, für andere stark sein, kämpfen und mich solidarisieren. Manchmal muss ich auch bei mir aufräumen. Privat. Das muss ich meistens alleine tun. Hilfe dabei würde ich mir so sehr wünschen, aber ich wüsste nicht einmal, wie die realistischerweise aussehen könnte. Darum bitten kann ich, aber eben nicht sagen, was. Das ist vermutlich die größte Krux an dieser Art der Einsamkeit, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Hilflos mir selbst selbst gegenüber. Und dann liege ich auch mal ein paar Stunden weinend auf dem Küchenfußboden, damit alles andere in meinem Aktionsradius davor und danach weiter funktioniert. Ende.

11 Kommentare:

  1. Liebe Jule ! Irgendwie bleiben mir angesichts Deiner Offenheit die Worte weg. Außer, daß ich das kenne. Ich liege dann woanders, aber auch. Wenn Du Lust hast, dann schick mir doch über mein Kontaktformular Deine Adresse, dann kann ich Dir was schicken. LG die Gitta

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    1. Danke, aber bitte fühle dich zu nichts verpflichtet.
      Liebst,
      Jule*

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  2. Heute Morgen nicht mehr geschafft zu schreiben und ein großmütterliches Umärmeln zu hinterlassen...
    Hatte nach dem Lesen so einen Impuls. Dass die Akkus manchmal so erschöpft sind bei Menschen, die Augen und Herz für die Mitmenschen offen halten! Die Selbstfürsorge, die fällt gerade solchen Wesen nicht immer leicht. Aber die Kerze an beiden Enden angezündet halten, geht nicht. Und wenn der Teppich dann auf dem Küchenboden hilft, dann halt öfter hinlegen.
    Ach Frau Jule...

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    1. Ja, öfter hinlegen. Vielleicht auch einfach mal nicht auf den Küchenfußboden, sondern wohin, wo es eher angesagt wäre. Ich übe.
      Liebst,
      Jule*

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  3. Liebe Frau Jule, hast du schon mal darüber nachgedacht, dir einen Hund oder 2 Katzen anzuschaffen? Meiner Freundin, die keinen Partner hat, tut das sehr gut. Ich schicke dir gute Gedanken - Gundula

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    1. danke für die gedanken. aber tiere? auf gar keinen fall! nicht noch ein hobby, nicht noch mehr verantwortung!
      liebe grüße,
      jule*

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  4. Die wirkliche Stärke ist, eben doch wieder aufzustehen. Da muss diese Kraft in die stecken. Spürst du sie auch? ich wünsch dir liebevolle Umärmelungen und schicke gute Wünsche. Regula

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  5. An meinem Bild von dir als Powerfrau kratzt dies auch mitnichten. Nein, eher unterstreicht es dieses noch. Denn wer gibt schon solche Stunden zu, wer gewährt schon solch einen Blick hinter die Kulissen in dieser Öffentlichkeit oder ganz überhaupt? Ich wünsche dir weniger von diesen Situationen, ich wünsche dir, dass du immer wieder Halt findest. Ich wünsche dir, dass du doch irgendwann sagen kannst, welche Hilfe hilft. Und ich wünsche dir, dass du bald jemanden findest, der dich verläßlich immer wieder vom Boden kratzt, wenn es nötig ist. Natürlich nur, wenn du das auch willst.
    Lieber Gruß in die Nacht..
    dörte

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  6. Ja, lass es bloß raus! Das Aufstauen ist auch kein Gewinn, eher im Gegenteil. Ich bin überall als die Lustige bekannt, aber wenn mich keiner sieht, oder nur der Kerl, dann kann ich mich auch gehen lassen.
    Auch wenn ich zu weit weg bin, ich drücke dich ganz doll. Powerfrau hin oder her.
    Lieben Gruß
    Andrea

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