Donnerstag, 11. Mai 2017

Das kann ich alleine


 Hände sind dazu da, um Dinge mit ihnen zu tun. In den letzten Wochen war das in meinem Fall weniger an der Nähmaschine oder mit irgendwelchem Bastelkrams. Ich habe meine komplette Wohnung gestrichen und dabei gleich grundgereinigt und entrümpelt. Alleine.


 Fast zwei große Eimer Farbe habe ich verbraten. Ohne Auto aus dem Baumarkt nach Hause geschleift. Der Fussel hat mir freundlicherweise seinen Malteppich geliehen. Zuerst hatte ich mir zwei Wochen für die ganze Aktion eingeplant. Ein bisschen Leben ist dazwischen gekommen. Am Ende war ich nach drei Wochen fertig.


 Die Wände sind einfach nur weiß geworden. Meine Wohnung ist sonst schon bunt genug, da brauche ich nicht noch bunte Wände oder Decken. Als ich mit dem Streichen anfing, fragte ich mich, ob die Wände vorher in irgendeinem Eierschalenton gestrichen waren oder ob das Weiß einfach nur vergilbt war. Wenn jetzt die Sonne in meine Wohnung scheint, könnte man fast blind werden. So viel mehr Licht. Ich finde es super!


 Während der Planung der Aktion wurde ich von einigen Seiten milde belächelt. "Das ist doch Wahnsinn!", "Das wird kein Spaß.", "Du bist ja verrückt!", "Aber das muss doch nicht sein.", "Hol dir Hilfe.", "Wirklich ganz alleine?", "In der Zeit? Niemals!", hochgezogene Augenbrauen. Während ich da so Möbel vor mich hin schubste, Staubmäuse einfing, Bücherkisten wuchtet und malerte, dachte ich mal darüber nach, wie Menschen auf große Pläne meinerseits sonst so reagiert haben. Abseits von dieser Wohnungsfeinmachaktion fielen mir soziales und politisches Engagement, Reisen, Jobs, Umzüge, Uniprüfungen in zackiger Schlagzahl undundund ein. Irgendwie war es öfter, wie das oben erwähnte. Ich finde das nach wie vor komisch.


 Traut man mir nicht zu, dass ich Dinge schaffe? Will man mich vorm Scheitern bewahren? Meint man, ich könne meine Kräfte nicht selbst einschätzen? Wirke ich so schwach? Und ich habe daran gedacht, was ich in meinem Leben schon alles geschafft habe. Alleine. Jedes Mal bin ich nämlich dann mit der Einstellung "Pah! Jetzt erst recht!" an die Dinge gegangen. Selbst, wenn es unfassbar anstrengend wurde, war das immer der Ansporn, die Arschbacken zusammenzukneifen und die Zähne zusammenzubeißen und weiterzumachen. Am Ende aller Aktionen dachte ich dan IMMER: "Seht ihr, ihr Ficker! Geht doch!" Und ja, genau in dieser schimpfenden Denkweise. Menschen, die meine Fähigkeiten anzweifeln, verdienen es nicht anders als wüst beschimpft zu werden. Und jedes Mal bin ich noch stärker aus solchen Situationen herausgegangen. Vielleicht eine leichte Form von Resilienz?


  Ich musste wirklich grübeln, wann mir jemand mal unironisch "Gutes Gelingen" oder "Viel Erfolg" gewünscht haben. Oder gar ein "Kann ich dir irgendwie helfen?". Natürlich gab es das vereinzelt.  Keine Ahnung, was für Menschen mir da ständig über den Weg laufen. Vielleicht bin ich auch extrem empfindlich, was solche Kommentare zu meinem Tun angeht. Okay, ganz oft läuft es mittlerweile auch so, dass ich gar nicht mehr erzähle, was ich plane, sondern eher, was ich geschafft habe. Ich weigere mich ja beharrlich dagegen, das als weibliches Problem abzustempeln, aber was bekommen Kerle mit solchen Plänen und Vorhaben zu hören?


 Bekommen Frauen so etwas nicht viel zu oft zu hören? Also, dass sie etwas gar nicht erst versuchen müssen, weil sie es eh nicht schaffen? Ist es vielleicht darum kein Wunder, wenn Frauen es dann nicht schaffen, die sogenannte gläserne Decke z.B. beruflich zu durchbrechen? Weil sie klein gehalten werden? Weil ihre Vorhaben und Pläne belächelt werden? Wird Unterstützung verweigert, weil das Unternehmen zum Scheitern vorverurteilt wird und es sich darum nicht lohnen wird? Trifft alles übrigens auch auf behinderte Menschen zu. Auch denen wird viel zu oft viel zu wenig zugetraut und auch das ist so falsch und wahrhaftig behindernd. Oder bei jeglicher anderen gesellschaftlichen "Randgruppe". Politische Hürden sind da sicherlich ein Teil, der andere liegt bei der Gesellschaft. Jedem einzelnen Menschen im Miteinander. Diskriminierung zeigt sich auch durch nicht zutrauen. Kann man diesen Bogen von einer Wohnungsrenovierungsaktion spannen? Irgendwie schon. Denn ob Wohnungsrenovierung, berufliche Vorhaben oder sonstige große oder kleine Pläne, ist es doch immer das Gleiche.


 Meine Wände sind jetzt jedenfalls weiß, meine Bücherregale wieder leerer, alle Gardinen gewaschen, Böden und Fenster geputzt. Die Wohnung, meine dritte Haut nach echter Haut und Klamotten. Zum Wohlfühlen. Für mich. Und für all die Zweifelnden: Alleine gemacht! Pah! Achso: Ich habe übrigens niemanden um Hilfe gebeten, weil ich derzeit eh massig Zeit habe und niemandem sein erholsames Wochenende mopsen wollte. Das kam mir irgendwie nicht richtig vor. Vielleicht auch so ein weibliches Problem... Dafür halt Sprüche... Hmpf....


 Und wenn ich meine Wohnung alleine schick machen kann, dann kann ich noch viel mehr. Und viele andere Menschen, an deren Fähigkeiten ständig gezweifelt wird, auch! Das habe ich parallel zu dieser Aktion auch auf beruflicher Basis mal wieder bewiesen. Für mich fand ich die Wohnungssache wegen der körperlichen Herausforderung spannend. Decken streichen ist wahrhaftig Höchststrafe. Es gibt Dinge, die ich nicht kann. Ich würde nicht auf den Mount Everest klettern oder durch den Ärmelkanal schwimmen. Aber es gibt vieles, was ich kann. Meine Fähigkeiten kann ich sehr gut selbst einschätzen. Und wenn ich mal scheitere, dann ist das eben so. Aber irgendwie sollte man sich doch einfach nicht direkt entmutigen lassen. Und wenn man merkt, dass man es nicht kann, dann hat man eben eine Grenze gefunden. Wichtig für die nächsten Vorhaben.


 Achso: Bei dem ganzen Rumgeprolle darf ich dennoch nicht vergessen, dass mir am Ende die Knochen doch gut weh taten und meine Schienbeine grün und blau gekloppt sind. Aber auch das ist in Ordnung. Sonst wüsste ich ja nicht, was ich geschafft habe, wenn ich in meiner Wohnung die Augen zu mache oder sie verlasse. Das wird vorbei gehen. Und mal ganz ab vom Geschlecht: Traut euch mehr zu, probiert was was, lasst euch nicht entmutigen und sagen, was ihr nicht könnt. Versucht es, lernt eure Grenzen kennen und eure Fähigkeiten selbst einschätzen. Einfach mal die Wohnung frisch streichen. Oder so. Für euch! Ansonsten: Öfter mal unterstützen. Ernsthaft! Mit Worten und Taten und nicht immer an anderen zweifeln! Und wenn andere scheitern hilft trösten. Zumindest meine Erfahrung. Und das ist heute mein Beitrag zur diesmonatlichen Politisierungsaktion. Mit den Händen gearbeitet und dabei politisch gedacht. Huch!

9 Kommentare:

  1. Wunderbar, ich liebe deine "Hemdsärmeligkeit" und bewundere dich zugleich sehr dafür. ich bin da ja bislang eher so das Mimöschen, das sich eher mal gerne einen Handwerker bestellt. Da traue ich mir in Sachen Bau/Handwerk/Technik selbst einfach zu wenig zu - oder wurde aus Erfahrung klug - oder beides :-) LG. Susanne (Ps: Die Kombi Arbeiten und Denken finde ich erfrischend, grins :-))

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    1. ach, aber streichen ist ja bis auf die körperliche variante eher killefit. das ist wie mit deinen papierbasteleien, nur in groß. und mit schablonen und stencils könntest du da auch toll arbeiten.
      und ich denke tatsächlich immer ziemlich viel beim handwerkeln. vermutlich sind darum komplizierte projekte auch eher nicht so mein fall *lach*
      liebst,
      jule*

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  2. Glückwunsch! Das ist mit das beste Gefühl, dass ich kenne, wenn ich so eine körperlich anstrengende Aktion hinter mir habe ( ich habe immer furchtbar gerne "gemalert" ).

    Ob das nur Frauen so geht, dieses In-Frage-Stellen, weiß ich nicht. Mir fällt nur auf, dass sich immer mehr eingemischt wird & kommentiert, auch in privatesten Dingen. Statt es einfach zur Kenntnis zu nehmen oder sich einfach mitzufreuen.
    Manchmal gehen mir die Mitmenschen einfach nur auf die Nerven...
    Da braucht man eine schöne dritte Haut.
    GLG
    Astrid

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    1. ja, das mit dem ins private einmischen stimmt wohl. vielleicht liegt das an der netzwelt, dass das private einfach öffentlicher geworden und damit kommentierbarer geworden ist. auch wenn sich das im realen leben abspielt. evtl. sind da ein paar hemmungen zuviel gefallen.
      liebe grüße,
      jule*

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  3. Nach dem ersten Absatz dachte ich noch so: Und? Dann wurde mir klar, daß ich solche Probleme kaum hatte (sei es in der Kunst oder in der Wissenschaft). Vielleicht habe ich immer viel Zuspruch bekommen oder mich wenig getraut um Hilfe zu fragen, daß ich so ein Selber-machen-Typ geworden bin. Auf jeden Fall ein interessantes und wichtiges Thema das du da ansprichst.
    Ich habe mal in einer Wochenendaktion meinen Flur entrümpelt und in zwei Grüntönen gestrichen. Den Rest meiner damaligen Wohnung insgesamt nur teilweise, denn was ich dabei am schwersten finde, ist sich aufzuraffen nachdem man schon mit dem ganzen Krempel eingezogen ist. Von daher hierfür auch ein "Super gemacht!"
    Liebe Grüße
    Janina

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    1. ja, das malern an sich war ja auch eher der schnellste und einfachste teil. das möbelschubsen und aussortieren war halt... naja... zeitraubend. ich glaube support ist in vielen ecken der gesellschaft nicht so selbstverständlich. vor allem wenn es in vermeintlich unbekannte richtung geht....
      liebe grüße,
      jule*

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  4. Ich hatte beim Lesen kurz ein "Hä?!" im Kopf, weil Du solche Sprüche zu deinem Vorhaben bekommen hast. Als Du mir davon erzähltest habe ich das nämlich als total normal empfunden und dachte mir so: "Joa, dann mach mal!" Ich hatte in keinster Weise gedacht, dass jemand es komisch finden könnte, dass Du alleine deine Wohnung streichen wirst - und natürlich habe ich nicht daran gezweifelt, dass Du das machen wirst!
    Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht an dem Bild, was ich von dir habe. Vielleicht an meinem Verständnis von "Wenn sie sich das zutraut,wird sie das schon hinkriegen - und wenn nicht, fragt sie um Hilfe!" Vielleicht an meinen eigenen Erfahrungen, was Renovierungsarbeiten angeht.
    Tja, Leute gibt´s....!
    Schön, dass Du das für dich gemacht hast! Schön, dass Du deine eigene Herausforderung bewältigt hast! Schön, dass Du stolz auf dein Tun bist!
    Liebe Grüße
    Antje

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    1. du und janina hatten ähnlich gedanken, darum siehe meine antwort oben ;)
      liebe grüße,
      jule*

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  5. also ich hätte dir viel erfolg gewünscht und meine hilfe angeboten - aber ich bin ja auch so eine selbermacherin. toll, daß du es geschafft hast (wobei ich das nie bezweiflen würde, daß eine frau das kann, sooo schwer ist es echt nicht).

    deine gedanken zum "kleingehalten-werden" finde ich sehr klug und - leider - zutreffend. es ist so ein unglaublich zufriedenstellendes gefühl, dinge selber zu tun und zu schaffen! und das macht ja tatsächlich stark und unabhängig.
    meine töchter nehmen alle drei selber werkzeug in die hand, alles eine sache des vorbildes ;-). sehr zu empfehlen ist übrigens das buch "handbuch für praktische mädels" (das bekommen meine töchter dann mal zum auszug), und auch die diversen "ladys-nights" in baumärkten sollen recht gut sein.

    mach weiter so! alles gute dafür.

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