Mittwoch, 29. Juli 2020

Gartenarbeit ist nicht romantisch


 Garten. Dieses Jahr irgendwie so meiner. Immer noch der Schulgarten. Dank Corona und Sommerferien ohne Kids. Alleine bewirtschaftet seit Mitte April. Knapp 100qm. Neun Äcker, ein paar Beete mit Beerensträuchern, einem großen Apfelbaum und zwei Hochbeete. Irgendwie so nebenbei. Irgendwie ein bisschen wahnsinnig. Johannis- und Stachelbeeren sind schon abgeernetet, direkt verspeist oder zu Marmelade verarbeitet. Jetzt geht es langsam ans Gemüse.


 Wenn ich diese ganzen Bilder unter #growyourownfood, #laubenliebe und blabla so in den Netzwerken sehe, überkommt mich teilweise ein aber mulmiges Gefühl. Natürlich ist Gartenarbeit pure Meditation. Frische Luft, frische Erde, körperliche Betätigung, die Dinge wachsen lassen und pflegen, sich um etwas kümmern, ist (fast) wie sich um sich kümmern. Aber genau da kommt dieses Mulmen. Es ist halt auch wieder so eine Privilegiensache. Ich habe das Land, das Wissen und die Zeit. Es ist wieder so ein klassistisches Ding. Ich habe die Zeit für diese Muse. Ich kann Gemüse ziehen, mich um den Garten kümmern, könnte mein Biogemüse aber auch easy im Laden nebenan käuflich erwerben. Auf der anderen Seite auch ein krasser Widerspruch. Meine Großeltern hatten noch selbstverständlich einen großen Gemüseacker hinterm Haus. Dort wuchs, was sie wirklich brauchten, was sie über den Winter brachte. Es wurde eingeweckt, eingekocht und als es dann ging, auch eingefroren. Dazu ein paar Blumen für die Vasen. So ein typisches Arbeiterklassending. 


  Natürlich waren die ersten Schrebergärten in den Städten später für die Menschen der "Arbeiterklasse", die sich keine Häuser mit eigenem Garten leisten konnten. Natürlich wurde das auch genutzt, um eigenes Essen anzubauen, um Geld zu sparen. Logisch. Und nun? Das Bildungsbürgertum krallt sich die Schrebergärten, weil die Altbauwohnung doch irgendwie zu eng ist. #Laubenliebe, #owngrown. Der Pöbel wird vertrieben. Was die können, können wir schon lange. Und das auch noch bio, samenfest, ohne Schneckenkorn. Und bloß nicht so spießig, mit Volksmusik aus dem Dudelradio und irgendeiner Fahne am Mast. In Hamburg sind Schrebergärten ohne Beziehungen nur nach langer Wartezeit zu bekommen.


 Will sagen. Checkt auch hier eure Privilegien. Nutzt nicht den Garten, um euren noblen Stand zu definieren. Nutzt es zur Meditiation, zum Ausgleich. Aber bildet euch nicht ein, ihr könntet euch wirklich so ohne weiteres selbst versorgen und das sei auch noch romantisch. Auch der Lebensmittelindustrie werdet ihr so nur bedingt ein Schnippchen schlagen.


 Gärtnern als Privileg und Sicherung des eigenen gesellschaftlichen Standes in der Stadt. Es ist auch nicht romantisch. Es ist eine verdammte Drecksarbeit. Es ist frustrierend, es stinkt, man stinkt. Ich hab ständig schwarze Füße. Es wird auch keine Laubenliebe geben, weil ein Schulgarten nunmal auch ein Low Budget Projekt ist. Bildung darf halt nix kosten. Die meisten Gerätschaften sind irgendwo zusammengeklaubt, die Schubkarren eigentlich nicht nutzbar, Ernte- und Unkrautkörbe irgendwelche vor dem Abfall geretteten Plastikkörbe. Selbst die gut sichtbaren Pflanzschilder sind aus den Tauschhäusern zusammengesammelt. Für die Kids ist es natürlich super, mal zu sehen, was für eine Scheißarbeit es ist, sein Essen selbst anzubauen. Ich pflege die leise Hoffnung, dass sie somit auch ein wenig Respekt für Natur und Landwirtschaft entwickeln. Zur Gartenwerkstatt kam ich auch nur so aus Versehen. Ich habe das weder ordentlich gelernt, noch studiert. Lediglich eine Fortbildung zur Anzucht habe ich absolviert und ansonsten verlasse ich mich auf meinen grünen Daumen und darauf, dass die dümmsten Gärtnerinnen eben die dicksten Kartoffeln haben. Trial and Error Gärtnern. Erstaunlicherweise funktioniert das mit Ausnahme der Gurken in diesem Jahr sehr gut. So gut, dass auch immer was für meine Nachbarschaft abfällt.

  
 Allerdings muss ich sagen, dass ich selten so unfassbar schmackhafte, leckere Bohnen gegessen habe. Und die Kartoffeln sind auch der Hammer. Vielleicht liegt das auch ein bisschen daran, weil irgendwie doch mein Schweiß und Blut darin steckt.


 Für die Nachbarschaft steht alle paar Tage eine Kiste mit Grünzeug vor meiner Wohnungstür im Hausflur. Sharing is caring. Mahlzeit!


4 Kommentare:

  1. Mir kommen vier Haushalte in den Sinn, die in Richtung Selbstversorger unterwegs sind, allesamt auf dem Land. Die einen sind Althippies, aus der Stadt (Zürich) aufs Land gezogen, als sie noch voller Tatendrang und Ideen steckten, ihre bäuerlichen Wurzeln wieder entdeckten. Mittlerweile sind sie alt geworden und nicht mehr so bei Kräften. Für sie ist es schwierig, den Garten (Stück um Stück) aufzugeben. Wäre es eine Möglichkeit, wenn junge Menschen übernehmen würden?

    Dann die anderen zwei, jünger, Garten aus Leidenschaft und Überzeugung, weil die industrielle Landwirtschaft, die wir vor unserer Haustüre sehen, viele Fragen aufwirft.

    Privilegiert, alle vier (Frauen mit dem Mann fürs Grobe im Hintergrund)? Wir in der Schweiz mit Bildungsmöglichkeiten, Zugang zu Information, gesund, mit viel intrinsischer Motivation sind alle privilegiert. Aber den Chrampf, das Dranbleiben, auch bei Misserfolg, nimmt den vier Frauen niemand ab. Privilegiert auch, weil sie das Schöne in der Arbeit sehen, den Lohn in Form von Ernte schätzen und zu verarbeiten wissen.

    Es steht nirgends geschrieben, dass man sich das Wissen zum erfolgreichen Gemüseziehen nicht erfragen, im Internet suchen, in einem Buch vom Trödler oder durch Versuch und Irrtum selber aneignen kann. Es steht nirgendwo geschrieben, dass man nicht anfragen darf, ob man nicht ein bisschen Garten haben könne. Augen offen halten. Oder warum pflegst du den Schulgarten? Wurde er dir übertragen? Hast du die Chance gepackt? Würdest du jemanden als Hilfe wünschen?

    Du hast mich auf die Idee gebracht, ein Schild an die Strasse zu stellen, auf dem ich Gartenbeete anbiete. Hier spazieren viele vorbei ...

    Ich kenne viele, denen Garten einfach zu anstrengend ist. Die zufrieden sind in der Wohnung mit Balkon, die gerne Gemüse (für wenig Geld) kaufen, weil es auch schön sauber ist.

    Es gehört zu den Errungenschaften der Gesellschaft, dass die ArbeiterInnen genügend verdienen, um sich agrarische Produkte zu kaufen. Aber ja, dass kann sich wieder ändern.

    Ich gehe sehr davon aus, dass eine Krise kommt. Dass ich mir langsam einen Gemüsegarten aufbaue, hat auch damit zu tun. Und klar, ich bin voll privilegiert, ich hatte auch Glück, habe auch viel dafür getan.



    Meine Nichte hat übrigens das Glück, einen Schrebergarten bekommen zu haben. Sie hat angefragt und weil die Vormieter so glücklich waren, den Zuschlag erhalten.

    Ich würde sagen, dass vor allem Menschen aus dem Süden die schönsten Gemüsegärten haben.

    Liebe Grüsse übern Gartenhag.

    Regula

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    1. es ist halt überall die frage mit den privilegien. wenn ich um die möglichkeiten nicht weiß, weil ich andere probleme habe, kann ich auch kein interesse dafür entwicklen, für das ich möglichkeiten und interesse entwickeln könnte, wenn ich keine anderen probleme hatten. katze und schwanz und so.
      im schulgarten habe ich schon vorher gearbeitet. und als eine nachfolge für die pflege gesucht wurde, war ich die einzige, die das konnte und wollte. ich finde das dort vor allem aus pädagogischen gesichtspunkten super. alleine hätte ich mir wohl auch keinen schrebergarten zugelegt. als alleinstehende frau hätte ich auch nur einen über beziehungen bekommen.

      liebe grüße,
      jule*

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  2. Liebe Jule,
    allein den Titel deines Beitrags find ich schon sehr treffend. Ich mach dann doch grade eine Ausbildung im Gemüsebau, und mir während des Ackerns schon viele Gedanken zu Privilegien und so weiter.
    Einerseits auch bei uns: Bio, ziemlich ökologisch durchdacht, mit netten Leuten. Alle mit sehr gebildetem Hintergrund, aber niemand mit viel Geld.
    Unser Gemüse über Solawivertrieb zumindest nicht nur für Vielverdienende. Andererseits verdienen Gärtner*innen so wenig, dass sie selbst sich nicht unbedingt bio usw. leisten können, und auch ein Garten am Haus oder Schrebergarten geht nicht unbedingt einfach so, nur vielleicht leichter, weil mensch eh schon auf dem Land ist.
    Und dann die Beschäftigung von Gastarbeitenden auch im Biogemüsebau, auch hier. Und so gehts dann immerweiter.
    Gleichzeitig mach ich das super gerne, auch auf mehreren Hektarn rumstiefeld, weils mir Spaß macht, sehr viel zu lernen und zu wissen ist und das eigentlich nie aufhört, und weil ich schon finde, dass Alternativen zur Agrarindustrie gelebt werden müssen, wozu für mich auch Bildung in dem Bereich, z.B. auch durch so einen Schulgarten wie deinen gehört. Kann mich selbst noch an unseren sehr ostigen und jedenfalls nicht besonders schicken Schulgarten erinnern..
    Ach, es gibt viel über das Thema zu sagen. Ich finds super, dass du das in deiner Freizeit machst und weiß sehr wohl, wie viel Arbeit es ist, was wohl nicht allen so geht, die auch bei uns immermalwieder fragen, ob das eigentlich son richtiger Beruf ist, den wir da machen.. Wenn ich dann noch höre, wie schön es doch ist, immer draußen zu sein und so, schlag ich mir auch manchmal gern den Kopf metaphorisch ein. Aber ist trotzdem gut, das Gärtnern.
    Und unsere Gurken sind übrigens auch sehr schlecht, liegt wohl am Wetter.
    Sehr spontaner, sehr langer Kommentar, vielen Dank für deinen Blog, les ich immer gern! Gruß, *A

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    1. und auch bei mir steht der arbeitsauwand ja im grunde auch in keinem verhältnis zur bezahlten stundenzahl. da fließt schon mehr rein... arbeit macht eben arbeit. nur "dreckarbeit" wird meistens überall schlecht bezahlt.
      liebe grüße,
      jule*

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