Dienstag, 3. Dezember 2019

Fenstersterne und falsches Zwangsouting



 Ich habe lange überlegt, wann ich wie über das folgende Geschehnis schreiben möchte. Unzählige Male habe ich im Kopf damit angefangen. Sätze getippt, wieder gelöscht, neu angefangen, wieder gelöscht. Es ist eine dieser Dinge, über die ich mich im näheren Umfeld immer wieder furchtbar aufregen kann, eine dieser Dinge, die mir unsagbar weh tun, eine dieser Dinge, die mich aber auch ein Stück weit in Richtung Verständnis für andere anders Betroffene bringen: Zwangsouting. Oder so. Und darum nun mein unzähligster Anlauf und ich werde das jetzt einfach so runterschreiben und maximal die Tippfehler korrigieren.


 Bei mir gestaltet sich das gezwungen Geoutet ein wenig schräger. Irgendwie so: Mir ist es im Leben schon unfassbar oft passiert, dass mich Menschen für lesbisch halten. Illustriert hatte ich das hier schon einmal. Ganz wertfrei möchte ich aber sagen: Dem ist nicht so. Meistens passiert das mit Menschen, die ich gerade erst kennen lerne. Dann kommen so Äußerungen wie "Hast du im Moment eine Freundin?", wahlweise "Wie? Ich dachte du seist lesbisch." (meistens im Zusammenhang mit Gesprächen über Beziehung....)
 Der Oberkracher ist mir allerdings leider im Zusammenhang mit dem FC St. Pauli passiert. Ausgerechnet da, wo es immer heißt "Lieb doch wen du willst.", Toleranz, Kapitän*innenbinde in Regenbogenfahnen, sowie Regenbogen auf allen Trikots, wir gehen auf dem CSD mit und an unseren Eckpfosten weht die Regenbogenfahne. Eben da erzählte jemand, der mich schon ein paar Jahre länger kennt, fröhlich hinter meinem Rücken rum, ich sei lesbisch. Die halbe Ecke in der ich da zweitweise glücklich stand, wusste "bescheid". Deprimierenderweise ein Mensch, mit dem ich viele Jahre an der selben Schule lehrte, der mich einige Jahre kannte und nicht müde wurde, mir zu erzählen, wie sehr ich an eben jener Schule seit meinem Weggang fehlen würde, was für eine unfassbare Bereicherung ich da gewesen wäre, blabla. Natürlich hatte ich mich nie geoutet. Auch diesem Menschen gegenüber nicht. Da gibt es nicht viel zu outen. Dummerweise kam aber dieses Zwangsouting durch diesen Menschen auf Umwegen bei mir an.


 Es trifft mich jedes Mal, wenn ich in falsche Schubladen gesteckt werde. An dieser Stelle ganz besonders. Ich fühle mich falsch, hilflos, bevormundet, enttäuscht von Menschen, wütend. Aus mehreren Gründen: Ich wusste nicht mehr, ob ich da so willkommen war, weil ich ich war, oder weil eine "Quotenlesbe" der Ecke im Stadion ganz gut stehen würde (am Rande sei erwähnt, dass ich auch die einzige Frau in dem erlauchten Kreise war). Ebenso, ob ich diese Quote evtl. auch an meiner Ex-Schule erfüllen sollte, ob ich das Vorzeigeobjekt für gelebte Toleranz oder whatever herhalten sollte. Es verletzte mich, dass man sich darüber unterhielt, mit wem ich in die Kiste steige, statt darüber, dass ich eine tolle Frau/Sonderpädagogin/Antifaschistin/Fußballkumpanin/liebevoller/kreativer Mensch.... bin. Statt sich über Fußball oder das Wetter zu unterhalten, war meine vermeintliche sexuelle Orientierung eben spannender. Dass das Ganze im Rahmen vom FC St. Pauli passierte, verschärfte die Situation für mich noch zunehmend. Von Menschen falsch zwangsgeoutet, die nach der Muttermilch direkt auf das erste Stadionbier umgestiegen sind und dieses St. Pauli Ding so hoch halten, hatte ich bis dahin mehr gehalten. An meinem Safe Space wo es es eben um mehr als um Fußball geht. Wem das gegen den Strich geht, redet eben über Fußball und nicht über die sexuelle Orientierung von anderen. Wenn ich wirklich lieben wollen dürfte, wen ich wollte, dann sollte das nicht das Thema sein. Nicht dort und nirgendswo sonst. Dann sollte das auch bei niemandem anderen Thema sein. Dann betrifft das eben nur mich und die Menschen, die ich liebe. Ich wünschte, es könnte mir egal sein. Ist es aber nicht. Man outet nicht einfach so Menschen. Das bricht Menschen. Da hilft auch kein "Ist doch egal. Wir sind doch tolerant." oder so. Eine nicht heterosexuelle Orientierung ist eben leider (noch) nicht normal. Solange darüber geredet werden muss, offensichtlich eh nicht. Zumal das in meinem Falle auch noch so falsch ist, wie es eben nur geht. Als Heteromensch kann ich mich auch nicht einfach so outen, denn auch das stimmt nicht. Ich bekomme nur so eine leise Ahnung davon, wie es Menschen geht, die sich wahrhaftig outen. Vielleicht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die dankbar dafür sind, dass jemand anderes sie schonmal vorneweg geoutet hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Erleichterung ist, wenn jemand anders diese Aufgabe für einen übernimmt... Bevormundung. Oder so.


 Ich kaue immer noch auf dieser Geschichte rum. Wenn mich neue Menschen in diesen Sack stecken, dann trifft es mich. Dass das aber auch Menschen tun, auf die ich mal große Stücke gehalten habe, denen ich vertraut habe, weil ich dachte, wir hätten irgendwo eine ähnliche Wertvorstellung, trifft mich aber nach wie vor besonders hart. Ich habe bis heute keine Entschuldigung für dieses Fehlverhalten bekommen. Schwach. Ganz schwach. Leider auch keine Solidarität aus der betreffenden Ecke des Stadions. Ebenfalls schwach. Ich bin stadionintern umgezogen. Ich stehe jetzt woanders. Ich habe neue Menschen gefunden, mit denen ich gröhlen, schimpfen und pöbeln kann. Und vor allem Menschen, die vernünftigere Gesprächsthemen als die sexuellen Orientierungen ihre Mitmenschen haben. Menschen, die es verstanden haben.

 
 Und das hässliche braune Transparentfaltpapier aus der Wühlkiste der Kunstkollegin darf jetzt hier noch ein bisschen in Sternform am Fenster hinter der Fahne des FC St. Pauli hängen. Der Regenbogenstern ebenso. Wie man den faltet ist vermutlich so klar, wie gelebte Toleranz. Den verdammt nochmal: Solange sich Menschen über die sexuelle Orientierung von anderen das Maul zerreißen müssen, ist es wichtig, dass gerade bei so Massenspaßdingern wie Fußball (und Kreativblogs), immer wieder darauf hingewiesen wird, dass man lieben darf und soll, wen man will. Und dass man über seine eigene sexuelle Orientierung soviel reden darf, wie man es braucht, die der anderen Menschen einen aber einen feuchten Kehricht angeht. Und wenn es eben doch mal im Umfeld passiert, dass Menschen in (falsche) Schubladen gesteckt werden, dann ist Solidarität mit den Opfern enorm wichtig und hilfreich. Wer schweigt stimmt dem Fehlverhalten zu. Wer das nicht checkt, hat beim FC St. Pauli eigentlich auch nichts verloren und sollte sich was schämen. Das gilt für alle anderen Orte in dieser Galaxie ebenso. So! 


  Vermutlich wird das leider nicht mein letzter Beitrag zu diesem Themenkomplex bleiben. Denn ich kaue immer noch und es tut immer noch weh und macht mich traurig und ich fühle mich solchen Urteilen und Beurteilungen immer sehr hilflos gegenüber. Aber schreiben hilft.... Danke für´s Lesen. Dienstagssammlung.

8 Kommentare:

  1. Ich drück dich! Stehe voll auf deiner Seite. Ich hoffe, dein Platz in einer wertfreien Freunde-Familie kann bald wieder ein Zuhause für dich sein. Ich hoffe, du hast die Gewissheit, dass du wieder heile wirst.

    Wenn so etwas passiert, bin ich immer mega dankbar, dass ich einen Schritt weiter bin, dass ich (hoffentlich) nicht Menschen in dieser Art verletze, dass ich tolerant sein darf.

    Liebe Grüsse von Regula

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    1. das problem ist ja nicht die toleranz, sondern die unterschwellige diskriminierung.... danke für den drücker.
      liebe grüße,
      jule*

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  2. Ich bin ein bisschen fassungslos... Warum tut man einem anderen dass an, um sich selbst wichtiger zu machen? Interessanter? Früher haben Kirche und Staat in die Betten der Menschen geguckt und ihnen das Gefühl vermittelt, nicht richtig oder gar schlecht zu sein, heute macht da wohl jeder mit. Es fällt mir schwer zu verstehen. Deine Enttäuschung hingegen verstehe ich gut. Drücker!
    Astrid

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    1. ja richtig... das "warum?" bleibt viel zu oft unbeantwortet. vermutlich wissen viele menschen noch nicht einmal selbst, warum sie so handeln...
      liebst,
      jule*

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  3. Oh-ha, das ist bitter! Vielleicht auch ein bißchen typisch wie manche Typen mit uninteressierten Single-Frauen umgehen... Ich wünsch dir viele gute Erlebnisse in der neuen Stationecke!
    Ich wurde auch ein paar Mal für lesbisch gehalten. Das letze Mal als ich von meinem "partner" statt "boyfriend" erzählt habe. Hab da aber mehr über die sprachliche Seite nachgedacht und was hier wohl so üblich ist.
    Achja, die Sterne sind schön geworden! :)

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    1. ja, sprache... so eine krux. schade, dass manche menschen sehr genau werden müssen, damit man sie nicht in flasche schubladen steckt. nimmt einem doch die leichtigkeit...
      liebst,
      jule*

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  4. Ich schüttele solidarisch den Kopf oder hebe die Faust oder sende Umarmungen. Nimm dir, was du magst.

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