Montag, 19. Oktober 2015

Der Inklusive Montag: Mode


 Der inklusive Montag findet hier mehr oder weniger regelmäßig statt. Hier gebe ich einen kleinen Einblick in die vielseitigen Chancen und Möglichkeiten, die die Inklusion mit sich bringt. Wer nochmal nachlesen möchte, was Inklusion überhaupt bedeutet, kann das hier nochmal tun. Grundsätzlich soll es um die guten Seiten gehen, um das was schon funktioniert und um das wo sich noch etwas ändern muss. Hier soll nicht gemeckert, sondern angepackt und sich gefreut werden. Anzumerken ist zum Schluss, dass ich "nur" eine Seite der Inklusion beleuchten kann, da ich "nur" Sonderpädagogin bin. Aber vielleicht finden sich ein paar Menschen, die gastbloggen möchten. In diesem Falle bitte gerne bei mir melden.
Thema heute: Mode 


 Eigentlich ist der heutige inklusive Montag nur bedingt inklusiv. Er beginnt mit diesem Nähstück, das ich vor kurzem anfertigte. Ich wollte dieses Stück schon so lange nähen. Der Stoff lag schon einige Zeit in meiner Stoffansammlung.


 Das Besondere daran ist eigentlich nur die Rückseite. Rückenfrei.


 Dazu ein breiter Schalkragen, der sich mit Klettverschluss schließen lässt. Farblich passenden Klett habe ich leider nicht gefunden. Aber warum das Ganze? Darum:


 Das Kleidungsstück bekam eine junge Dame zum Geburtstag geschenkt. Diese wunderbare junge Frau kommt regelmäßig in den Jugendclub für behinderte Jugendliche, den ich leite. Diese Klamotte entstand, weil ich es irgendwie immer furchtbar fand, wenn wir mit den Jugendlichen vor die Tür gehen wollten, alle flott ihre Jacken überwarfen, nur diese junge Dame konnte das nicht. Sie ist Tetraspastikerin, auf den Rollstuhl und diverse Festschnallvorrichtungen angewiesen. Eben mal die Jacke überwerfen ist da schwierig. Oftmals war ihr auch nur kurzzeitig kalt. Jacke an und ausziehen ist immer wieder ein Kraftakt für alle Beteiligten gewesen. Oft endete es damit, dass selbst sie meinte, dass es okay sei, wenn man ihr die Jacke eben verkehrt herum von vorne überlege. Aber das ist ja auch kein Zustand. Darum habe ich diese Jacke genäht. Man kann sie von vorne über die verkrampften Arme ziehen, den Schalkragen um den Hals legen. Dazu muss man keine Gurte und Schnallen lösen. Der Rücken wird eh vom Rolli warm gehalten.


 Das Gurtgerüst, was den Oberkörper im Rollstuhl hält, verschwindet dahinter. Es wird so keine Jacke mehr benötigt, in die man sie reinpressen oder ihr falsch herum überlegen muss.
 Zwar gibt es zunehmend Modeschöpfende, die auch Menschen im Visier haben, die nicht den gängigen Körperidealen entsprechen oder auf Hilfsmittel angewiesen sind, doch kaufbar ist diese Mode nur schwerlich. Alles andere erfüllt eher den praktischen als ästhetischen Zweck. Vermutlich ist das einfach kein Markt, vielleicht eine Sache, an die noch niemand gedacht hat. Auf der anderen Seite natürlich immer und immer wieder die Frage, für wen Modeschaffende denn überhaupt Mode machen. Wenn nicht für die Menschen, die sie tragen sollen, für wen denn dann? Und wer entspricht schon den gängigen Körperidealen. Da finden sich sicherlich die wenigsten Menschen wieder. Oder? Auf einigen Modeschauen kann man mittlerweile auch Models mit Albinismus, Down Syndrom, Beinprothesen oder anderen vermeintlichen Makeln über den Laufsteg flanieren sehen. Was dahinter steht, steht auf einem anderen Blatt. Ist das schon Inklusion oder noch eine sinnentleerte Möglichkeit auf sich aufmerksam zu machen? Vielfalt im Hinblick auf Körperformen habe ich beim Betrachten der entsprechenden Schauen weiterhin vermisst. Flexible Mode wäre eine feine Sache. Der Begriff der Funktionsklamotte ist in aller Munde, aber warum ist sie immer noch so unflexibel? Wenn man mittlerweile in Klamotten durch die Städte laufen kann, die früher vermutlich nur bei der Besteigung des Mount Everest zum Einsatz kamen, warum dann nicht auch körperflexible Mode? Ich wäre voll begeistert. 

 Zurück zu meinem Nähstück: Bevor ich den Stoff gekauft habe, habe ich die junge Dame in meinen Plan eingeweiht und gefragt, was sie sich denn wünschen würde. Sie wollte gerne etwas Blaues und Kuscheliges. Aus Gründen habe ich den Stoff ohne sie gekauft. Ich fürchte ich kenne in Hamburg keinen einzigen barrierefreien Stoffladen, mal abgesehen vom Weg dorthin.... Beim Kauf hatte ich natürlich auch noch das Wärmevermögen im Blick. Alle Punkte erfüllte dieser Fleecestoff sehr gut. Die Punkte auf dem Stoff habe ich mitgenommen, da Madame gerne farbenfroh unterwegs ist. Sie ist Künstlerin. Dazu kommt natürlich auch noch, dass Fleece nach der Wäsche schnell trocknet, was evtl. wichtig werden könnte, da es bisher nur dieses eine Exemplar für sie gibt, was vermutlich häufig getragen wird. Den Schnitt habe ich natürlich selbst gebaut, denn auch solche Schnitte sucht man vermutlich lange. Passen tut das gute Stück wie angegossen. Aus den oben genannten Gründen gestaltete sich das Ausmessen nämlich auch etwas schwierig, aber ohne Herausforderung wäre das ja total langweilig gewesen. Die junge Dame war auf jeden Fall total begeistert und freut sich hier einen Gastauftritt als Model hinlegen zu dürfen. 

 Vielleicht war es nicht das letzte Mal, dass ich so etwas gezaubert habe. Mir stellte sich seit einiger Zeit übrigens auch die Frage, ob es gelähmte Menschen gibt, die mit der Maschine nähen und wenn ja, wie diese Maschine aussieht. Ich brauche immer noch den Fußanlasser. Vielleicht kann mir da jemand weiterhelfen.
 Über die ästhetische Gestaltung von Hilfsmitteln würde ich auch gerne mal schreiben, doch da bin ich wohl zu wenig in der Materie drin. Vielleicht findet sich ja jemand, der zu diesem Thema gastbloggen möchte.

17 Kommentare:

  1. Oh, was für ein großartiges Projekt! :D
    Nützlich und hübsch.

    Und es zeigt mal wieder: Mode ist eben doch irgendwie nur bedingt für Menschen. *seufs*

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    1. dankeschön und ja: deprimierend...
      liebe grüße,
      jule*

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  2. Toll! Tolles Model, tolles Nähstück, toller Text!

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  3. Wie wunderbar, du bist echt großartig! !
    Ich merke auch immer wieder, dass alles für einen gewissen Norm-Menschen gemacht wird, den es wohl offensichtlich nicht gibt. Ich find es so prima, dass du dir für dieses Mädchen die Gedanken und vor allem die Arbeit gemacht hast.
    Schöne Ferien noch! LG Angela

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    1. dankesehr. dabei war das gar kein großer akt. ich sollte manchmal nähzeiten dazuschreiben. ich glaube für die jacke habe ich inkl. schnitterstellung keine zwei stunden gebraucht... ohne messen und stoffsuche.
      liebst,
      jule*

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  4. Was für ein großartiges Projekt und für ein toller Beitrag!
    Viele Grüße an das kleine Modell - sie sieht super aus in ihrer Jacke!
    Ich lese deine Texte zum Inklusiven Montag sehr gerne. Und heute hat er mir besonders gut gefallen!
    Liebe Grüße
    Christiane

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  5. Guten Morgen Frau Jule, ich schließe mich den Mädchens hier an. Auch ich bin begeistert. Von deiner Idee, der Umsetzung und am besten:"...dabei war das gar kein großer Akt."!!! Einen tosenden Applaus auch für dein Modell. Wir haben schon so oft nur geredet:"Wir bräuchten was, was hinten leicht über geht und vielleicht offen ist..." Eben nur blablabla, und du machst hier gleich mal! Finde ich prima. Hilfsmittel ist wirklich ein Thema, bzw. war das eher kein Thema bisher bei verschiedenen Anbietern....hässlich und kaum eine Auswahl...leider sind nun einige Anbieter auf den kapitalistischen Riecher gekommen. Für teures Geld gibt es mittlerweile schon auch schöne praktische Hilfsmittel. Aber Bekleidung, das habe ich noch nicht entdeckt. Ich denke du solltest in Serie gehen.
    Mensch, lass die Sonne weiter scheinen Frau Jule. Das gefällt mir.
    Grüße, Doreen.

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    1. hallo doreen,
      danke für deine liebe rückmeldung. brauchst du so eine jacke? kannst du nicht selbst nähen? ich bin eine, die nur ungern auf auftrag näht, aber wenn etwas gebraucht wird und ich helfen kann, dann schreib doch mal eine mail.
      liebe grüße,
      jule*

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  6. Hallo Frau Jule ,
    ich bin vom Samstagskaffee bei Andrea Karminrot mal rübergehopst .
    Und mir gefällt es mir hier gut , ich bleibe .
    Der heutige Post gefällt mir super gut . Ich arbeite mit Menschen , die
    ein Handicap haben . Und da steht man , wie du es so gut beschreibst ,
    oft vor Bekleidungsproblemen . Das ist so genial , echt das ist ne
    Marktlücke . Nähen ist nicht so meins , und du scheinst dann ja auch
    Schnitte einfach mal aus dem Stehgreif selbst zu entwickeln , schön .
    Ich werd deine Idee aufnehmen und umsetzen , wenn ich darf .
    Schöne Ferien wünsche ich , da scheint ja viel Kreativität bei rum zukommen ;-)
    Herzlichst liebe Grüsse von JANI

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    1. freut mich, dass es dich inspiriert hat. ich bin gespannt, was du zaubern wirst. vielleicht darf ich dann ja mal luschern ;)
      liebe grüße,
      jule*

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  7. Wie cool ist das denn? LG uli

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    1. hoffentlich nicht zu cool, sonst friert die junge dame ;)
      liebe grüße,
      jule*

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  8. Ich kann mich meinen Vorschreiberinnen nur anschließen: Was für ein toller Beitrag! Du bist die Modebloggerin meines Herzens! Lg*Julia

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  9. Die Idee ist super!
    Zu Deiner Frage mit dem Fußanlasser: ich kann meine brother auch per Hand bedienen, wenn ich auf den Startknopf drücke drücke legt sie los, ich muss dann nur schnell genug wieder drücken um zu stoppen...
    Sie näht dann halt in der voreingestellten Geschwindigkeit, sozusagen mit durchgetretenem Pedal.

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