Das
Thema Inklusion taucht hier auf meinem Blog immer öfter auf. Zum
Einen bedingt durch meine Arbeit, zum anderen durch die Erfahrungen,
die man in der Gesellschaft sonst so damit macht. Viele Menschen
wissen gar nicht, dass es so etwas wie Inklusion gibt, oft schlägt
einem offen zur Schau gestellte Behindertenfeindlichkeit an allen
Ecken um die Ohren, dass es nur so knallt. Letzte Woche hatte ich
hier schon eine kleine Einführung in das Thema Inklusion gegeben und da es
sich gerade so ergab, möchte ich heute mal einen Ort bzw. eine
Gruppe von Menschen vorstellen, bei der Inklusion schon ganz lange
ganz fantastisch funktioniert und dabei auch noch gut klingt, gut
aussieht und jede Menge Spaß macht.
In
einem Hinterhof in Hamburg- Altona befindet sich das
KünstlerInnenkollektiv Barner 16. Die Bands aus diesem Hause haben sich bei mir schon lange ins Herz gespielt. Aus einem Interviewtermin in der
Barner 16 wurden in meinem Fall auch schnell mal eine offene
Hausführung, oder wie beim letzten Mal ein paar Stunden Besuch im
Proberaum. Ich war beide Male vor den Terminen furchtbar nervös,
doch ich habe mich beide Male dort pudelwohl gefühlt. Die Atmosphäre
dort unfassbar herzlich.
In der Barner 16 ist unter anderem auch die Band STATION 17 beheimatet, die gerade ein neues Album herausgebracht hat und derzeit auf Tour ist. Im Rahmen meiner "Arbeit" für allschools.de habe ich letzte Woche Parija (Gesang) und Hauke (Ex- FRAU POTZ, Bass) von STATION 17 zum Interview getroffen und mit ihnen über Herzmusik, Zusammensein, Inklusion, ihren MusikerInnenalltag und das neue Album von STATION 17 gesprochen.
Ein
kleiner Auszug aus dem Interview hier:
Parija:
Also ich bin auch noch nicht so lange dabei. STATION 17 gibt es seit
1989. Unser Chef Kai Boysen hat diese Band gegründet, weil er auf
die Idee gekommen ist, dass auch Menschen mit Handicap Musik machen
können. Er kam auf diese Idee mit Menschen mit und ohne Handicap
eine Band zu gründen. Die Band STATION 17 war vorher auch gar nicht
hier (Anm. d. Red.: in der Barner 16). Die haben woanders Musik
gemacht. Die Musik war auf jeden Fall viel experimenteller, d.h. man
fing an zu spielen und guckte was passiert. Es gab zwar eine
Struktur, wer wann anfängt, aber wer was spielt, wusste man nicht so
genau. Es kamen immer mehr und mehr Leute, so dass es dann auch
andere Projekte gab und nicht nur STATION 17. STATION 17 ist quasi
der Kern und Motor der Barner 16 und ist auch am bekanntesten. Und
jetzt macht STATION 17 eine andere Musikrichtung, das ist so in
Richtung Pop und die Besetzungen haben sich auch ständig geändert.
Einige Musiker sind gegangen aus Zeitgründen und andere Musiker
kamen dazu.
Hauke:
Ja genau. Kai Boysen hat in einer Wohngruppe gearbeitet, die
Wohngruppe 17 in Alsterdorf. Eigentlich wollte er immer nur Musik
machen und irgendwann hat er angefangen mit den Leuten in seiner
Wohngruppe Musik zu machen. Da ist dann erst ein Album entstanden,
dann ein zweites und irgendwann waren das dann hauptberufliche
Musiker und daraus ist dann die Barner 16 entstanden. Wie Paria schon
gesagt hat, hat sich die Band ständig neu formiert. Die letzte
Neuformierung hatten wir erst vor ein paar Monaten und jetzt war der
Wunsch da, etwas Neues zu probieren, eben keine experimentelle Musik,
sondern Popmusik.
Habt ihr mit Vorurteilen zu kämpfen? Zum Beispiel mit der Tatsache, dass sich andere Bands den Arsch aufreißen, um Musik machen zu können, während es bei euch so aussieht, dass ihr morgens erstmal zum Kaffeetrinken reinkommt, eine Runde jamt und am Ende des Monats eure Kohle dafür bekommt.
Hauke:
Also wir touren uns ja auch den Arsch ab und spielen um die 60, 70
vielleicht auch manchmal 80 Konzerte pro Jahr. Das ist eine ganze
Menge finde ich. Vorurteile nimmt man schon wahr, aber es ist
natürlich auch immer schön, wenn man auf einem Festival zum
Beispiel erst die Sprüche hört und dann anfängt zu spielen und die
Leute so auf seine Seite zieht. Wenn die dann begeistert sind, ist
das natürlich das schönste Gefühl, solche Vorurteile zu
durchbrechen.
Parija, hast du damit schon Erfahrungen, z.B. auch mit der Tatsache, dass du nicht sehen kannst?
Parija:
Ich hatte das nicht direkt vom Publikum, aber ich wurde mal vom NDR
interviewt und die fragten mich tatsächlich ´Wie kannst du das denn
wissen, dass du vor so vielen Leuten spielst, du siehst die ja
nicht.´ Da denkt man dann auch so ´Hallo? Bin ich blind oder bin
ich blöd?´. Ich kann zwar die Leute nicht sehen, das stimmt. Aber
erstens kriegt man ja mit, wenn die Leute applaudieren und zweitens
habe ich sehende Menschen um mich herum, die mir sagen können wie
die Leute gucken und reagieren. Und es gab auch schon Leute die
gefragt haben ´Oh du bist ja blind, wie willst du denn die Tasten
beim Klavier treffen?`. So was hat es alles schon gegeben.
Hast du die Leute dann auch getroffen, nachdem du auf der Bühne gestanden hast?
Parija:
Das Publikum hat mich schon angesprochen, dass die das toll fanden,
sowas hatte ich auch schon öfter. Und das ist auch ein sehr schönes
Gefühl. Oft ist das auch so, dass sie sagen, dass sie es klasse
fanden, obwohl mir ein Fehler passiert ist. Dann denke ich immer
`Hast du eine Ahnung, aber du hast es ja nicht gemerkt´. Aber da
muss man ganz cool bleiben nach aussen, auch wenn das manchmal nicht
ganz einfach ist.
Was sind die größten Hürden, die ihre mit eurer Band überwinden müsst, wenn ihr z.B. ein neues Album herausbringt?
Hauke:
Das habe ich selber so noch nicht wahrgenommen. Dadurch, dass wir
unsere Platten auf unserem eigenen Label 17Records, die auch hier im
Haus sind, rausbringen, haben wir damit eigentlich gar keine
Probleme. Auch von Konzertveranstaltern werden wir immer wieder
eingeladen.
Was bedeutet Inklusion für euch?
Hauke:
Es heißt da ja immer, es soll um Teilhabe gehen. Aber bei uns geht
es ja nicht um passive Teilhabe, sondern um aktive Mitgestaltung. Wir
machen ja alles zusammen. Wir schreiben zusammen die Musik, wir
treffen ganz viele andere Bands und treffen gemeinsam Entscheidungen,
wir essen hier zusammen, wir feiern nach dem Konzert zusammen. Es
geht da eben viel mehr um aktive Mitgestaltung als um passive
Teilhabe.
Wie sieht das aus, wenn ihr hier Feierabend macht und rausgeht. merkt ihr da eine Veränderung im Laufe der letzten Jahre?
Parija:
Ich finde ganz ehrlich, dass Inklusion bei ganz vielen Menschen noch
nicht im Kopf angekommen ist. Ich kenne das daher, wenn man irgendwo
eingeladen ist. Es reicht, wenn ein Mensch anders ist. Zum Beispiel
ich als Blinde bin gerne mal Außenseiter unter Sehenden. Das ist
aber leider auch irgendwo normal, weil wir Blinden haben andere
Themen. Ein kleines Beispiel: Ich habe mal in einem Mädchenchor
gesungen, privat. Ich habe mich im Chor auch wohlgefühlt, weil mir
das Singen und alles viel Spaß gemacht hat, aber wenn du die ganze
Zeit hörst ´Oh, ich muss noch Lidschatten drüber machen´ oder ´Oh
die roten Schuhe passen auch so perfekt zum gelben Kleid´, da geht
es schon los, dass man als Blinde nicht mitreden kann. Oder Sehende,
mit denen man unterwegs ist bleiben plötzlich vor einem Schaufenster
stehen und du denkst `Hä, warum gehen die denn nicht weiter?` und
dann muss man eben manchmal fragen, was da gerade los ist. Was ich
damit meine: Es ist bei vielen einfach noch nicht so verankert,
Menschen zu erklären, was gerade eigentlich los ist. Es wird gemacht
und getan und jemand der nicht sieht, steht da nur daneben. Das ist
ein Ding, wo Inklusion noch nicht in Köpfen anderer Menschen
angekommen ist. Bei Rollstuhlfahrern sieht man es ja zum Beispiel
auch. Wenn die irgendwo hinwollen oder irgendwen besuchen, heißt es
oft ´Ich kann da nicht hin, da ist kein Fahrstuhl`. Da frage ich
mich manchmal `Wo bitte ist hier Inklusion?´.
Was müsste also für dich passieren, damit du denkst: Jetzt ist Inklusion da?
Parija:
Zum Beispiel, dass in allen Wohungen entweder ein Fahrstuhl oder ein
Lifter ist. Damit auch Rollstuhlfahrer hochkönnen. Es gibt ja einen
Verein, der zum Beispiel behindertengerechte Wohnungen macht. Da
denke ich: `Alles schön und gut, aber warum soll es dann ein Gebiet
geben für die?´ Warum können nicht viele andere Wohnungen auch so
eingerichtet sein, so dass die auch woanders wohnen können. Das man
nicht sagt: Hier ist die Rollstuhlecke, da ist die Blindenecke. Das
ist doch nicht Inklusion.
Hauke:
Es geht ja auch darum diese ganzen defizitären Kategorien zu
entkoppeln. Es ist ja egal ob es ein Mensch mit Behinderung oder ohne
Behinderung ist, sondern es ist wichtig, dass eben keine Betonung
mehr drauf liegt.
Könnt ihr noch etwas zur Zusammenarbeit mit der Aktion Mensch erzählen? Der Song "Alles für alle" wurde da ja wirklich ordentlich verbreitet.
Hauke:
Die Aktion Mensch ist vor allem auf Phillipp aufmerksam geworden. Der
ist auch der Mittelpunkt von einem Werbespot einer Kampagne. Die
haben angefragt und da Phillipp nun bei uns in der Band spielt, haben
wir das für unsere Zwecke mit genutzt.
Das
gesamte Interview gibt es bei allschools.de zu lesen. Das Video mit Phillipp gibt es hier zu sehen und die ausführliche Version hier.
Bereits bei der
Albumveröffentlichung von KOLLEKTIV BARNER 16 (einer anderen Band
aus diesem Haus, in der auch Teile von STATION 17 mitwirken) habe ich überlegt, ob ich überhaupt
erwähnen soll, dass dort Menschen mit und ohne Spezialisierung
zusammen Musik machen. Bisher habe ich das immer einfach sein
gelassen und die unfassbar großartige Musik für sich sprechen lassen. Betrachtet man aber
das zunehmende Informationsbedürfnis zum Thema Inklusion und wie sie funktionieren kann, so ist es doch an der Zeit mal zu zeigen, wo es funktioniert und
so sämtliche Argumente der ProblematisiererInnen über den Haufen zu
fahren. Dabei sei ganz laut und deutlich gesagt, dass die Barner 16
keine "Behindertenwerkstatt" ist. Hier machen alle alles
zusammen, auf professionellem Niveau. Alles für alle eben. Inklusion eben. Peter Tiedeken (ehemaliges Mitglied von STATION 17) fasst das in dem Video mit Phillipp sehr gut zusammen.
Als
ich nach dem Interview noch eine Runde mit in den Proberaum und
zuhören durfte, hat es mich dann auch tatsächlich mal wieder aus den Socken
gehauen. Da rennt man in seinem Umfeld seit Jahren für Inklusion
gegen Wände und sieht sich trotzdem immer noch mit absolut
hirnamputierten, behindertenfeindlichsten Argumenten gegen Inklusion
konfrontiert und ist frustriert. Wenn man dann aber in so einem Proberaum sitzt und sich
das Trommelfell wegmassieren lässt, erlebt wie es geht, wie einfach
es sein kann und wie gut es dazu noch klingt, dann haut einen das
wirklich vom Hocker. Ich war wirklich den Tränen nahe, weil mir fast das Herz explodiert ist. In der Hinsicht war der Besuch auf jeden Fall
sehr heilsam. Danke Barner 16 -und im Speziellen STATION 17- dafür.
STATION 17 sind übrigens noch ein bisschen auf Tour.
Ein Konzertbesuch lohnt sich auf jeden Fall. Am Besten stellt man
sich direkt in die erste Reihe und dreht sich während des Konzerts
hin und wieder mal dezent nach den anderen Konzertbesucherleuten um.
Ich schwöre, ich habe selten so viele strahlende, grinsende,
fröhliche, ausgelassene, zufriedene Menschen auf einem Konzert
gesehen. Irgendwas ist da in Inklusion, das wie Droge wirkt.
Und
wer es bis hier unten geschafft hat, bekommt noch den Link zur
Plattenkritik von STATION 17 "Alles für alle" und weil es
so schön war auch noch zu KOLLEKTIV BARNER 16 "s/t" (die
aber schon etwas älter ist).
Die Spezialeffekte darf man auf gar keinen Fall rausnehmen! Niemand, niemals, nirgendwo!
Was fürn schöner Post! Selbst das Lesen macht mich lächeln.
AntwortenLöschenLG vonKarin
was anderes belibt einem bei diesen fantastischen damen und herren auch gar nicht übrig. freut mich, dass ich das so rüberbringen konnte.
Löschendanke und liebe grüße,
jule*