Dienstag, 24. Februar 2015

Little John und alltäglicher Rassismus


 So, wie fange ich diesen Beitrag an? Ich denke dieses Materialbild zeigt es schonmal ganz gut. Ich musste gar nicht viel Material kaufen und schon konnte ich mein sehr lange angedachtes und durchdachtes Projekt anfangen. 


 Darf ich vorstellen: Little John! Das ist nur der Arbeitsname für dieses Wesen. Aus Gründen. Es wird an meinen Neffen verschenkt werden und es gibt eine kleine Geschichte hinter dieser Puppe:
 Einer der besten Freunde meines Bruders kommt aus Gambia. Als wir uns das letzte Mal sahen, war ich einfach mal ganz frech- weil es mich wirklich interessiert hat- und habe ihn gefragt, ob er aufgrund seiner Hautfarbe hierzulande jemals Probleme mit Rassismus gehabt habe. Er erzählte mir daraufhin von den kleinen, alltäglichen, rassistischen Erfahrungen, die er so machen würde. Z.B. kann er sicher sein, dass in Bus oder Bahn der Sitzplatz neben ihm der letzte freie in der Rush Hour sei, der frei bliebe. Außerdem erzählte er, dass selbst mein Neffe ihn immer noch sehr skeptisch beäugen würde, obwohl er wirklich oft vorbeikommt.


 Es ist ein bisschen verständlich, dass ein junger Mensch, der zwischen lauter weißen Kartoffeln aufwächst, den Afrikaner erstmal als Verwirrung wahrnimmt. Aber das muss man ja nicht so hinnehmen. Also bekommt der Neffe nun diese Puppe.


 Ein paar weitere Erlebnisse hatte ich mit alltäglichem Rassismus übrigens auch bei der Herstellung dieser Puppe. Natürlich brauchte ich Jersey für den Körper. In sämtlichen Stoffläden gab es Puppenjersey in "hautfarbe". WTF!?!?! Dass es diesen "Begriff" für diese Farbe noch gibt, finde ich erschreckend. In der Schule gewöhne ich meinen Lernenden das ganz schnell ab. Das heißt- wenn überhaupt- "Fleischfarbe". Ebenso spielte sich folgende Szene beim Materialkauf ab:
 Frau Jule steht am Garnregal, weil sie noch Zwirn für die Haare brauchte. Durch die Kurzwarenabteilung krakelt eine Frau mit Kind im Schlepptau: "Jetzt suchen wir schnell noch das hautfarbene Garn und dann geht es ab nach hause! Hilf mir suchen!"
Direkt im Gang hinter mir fanden sie, was sie suchten.
 Kind: "Mama! Hier ist hautfarbe!"
 Mutter: "Ja, sehr gut, das ist hautfarben!"
 Ich: "Entschuldigung, welche Farbe meinen sie?"
 Mutter: "Hautfarben." und hält mir die Garnrolle unter die Nase.
 Ich: "Wessen Hautfarbe?"
 Mutter: "Na seine." Und zeigt auf ihren Sohn.
 Ich: "Weil seine Hautfarbe die von allen Menschen auf der Welt ist?"
 Mutter: "Wie heißt es denn dann?"
 Ich: "Das nennt man Fleischfarben. Nur mal so zum Nachdenken."
 Mutter (mit leicht aggressivem Unterton): "Na, man kanns ja auch übertreiben!"
 An dem Punkt konnte ich nicht mehr. Ich ertrug das nicht, war fertig, wollte aufs Sofa und Little John die Haar knüpfen. In Punkto alltäglichem, vermeintlich gesellschaftlich akzeptiertem Rassismus kann man nicht übertreiben. Oder? Nein, blöde Frage, natürlich nicht! Den aggressiven Unterton vernimmt übrigens häufiger, wenn man seine vermeintlich weitergedachten Gedanken äußert. Das passiert mir irgendwie öfter...


 Kurzzeitig war Little John übrigens auch mal Punker, der hätte der Muddi in der Kurzwarenabteilung sicherlich was erzählt. Mit Hilfe von.... pst, Veraffungsschutz.... hehe.


 Hoffentlich kommt Little John gut an. Ich werde ihn bei meinem nächsten Besuch im Rheinland einpacken und höchstpersönlich überreichen. Auf die Reaktion bin ich gespannt.


 Die Puppe ist übrigens weitestgehend ohne Anleitung genäht. Ich habe das schonmal vor gefühlten 209 Jahren in der Schule gemacht. Lediglich bei den Haaren habe ich mir hier Hilfe geholt. Das Material ist komplett vegan, d.h. ich habe bei Füllung und Haaren nicht auf die traditionelle Wolle zurückgegriffen. Körper und Gesicht habe ich in alter Waldorfpuppentradition bewusst so einfach wie möglich gehalten. Mehr Interpretationsmöglichkeiten für das spielende Kind. Ein paar mehr Klamotten bekommt er auch noch. Das dann ein anderes Mal. Ob ich die Haare nochmal schneide oder nicht, weiß ich noch nicht. Im Zweifel erledigt das mein Neffe mit der Bastelschere eh früher oder später selbst.
 Jetzt wandert der Kleine John rüber zum Creadienstag und in die Made4Boyssammlung, denn dass auch Jungs mit Puppen spielen dürfen, versteht sich wohl von selbst. Mit Robin Hoods treuestem Begleiter gegen Rassismus und Geschlechtskonstruktivismus! Für Inklusion! Basta!

18 Kommentare:

  1. Ach, es ist gruselig, wie oft ein dieser Alltagsrassismus begegnet. Hier "auf´m Dorf" vielleicht sogar noch mehr. Und wenn ich die Leute drauf anspreche verstehen sie oft gar nicht, worum es mir geht.
    Aber, heißt es wirklich "Fleischfarbe"? Ich tendiere ja eher zu "helle oder dunkle Hautfarbe" oder bei Handarbeitsmaterialien auch einfach so beige/ braun/ dunkelbraun usw. Wir haben bei uns in der Krippe Puppen mit verschiedenen Hautfarben und die werden von uns Erwachsenen auch so benannt.
    Naja, darüber lässt sich vermutlich auch streiten. ;)
    Liebe Grüße
    Antje

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    1. ja begrifflichkeiten. es ist kompliziert und man kann die fettnäpfchen nur alle mitnehmen...
      liebe grüße,
      jule*

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  2. applaus!!!!!! für dein mundwerk und natürlich für little john, der ist sooooooooooooooooo herzig geworden! und die haare!!!! applaus! und liebe grüße, sylvie von babaprincesse

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  3. Liebe Jule, herrlich deine Ausführungen zu lesen. Little John ist dir großartig gelungen.
    Liebe Grüße.

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  4. Liebe Frau Jule,

    Little John sieht großartig aus! Ist dir wirklich super gelungen :-)
    Apropos Alltagsrassismus: Da sprichst du wirklich ein Thema an! Ich habe zur Zeit selbst mit einem mir nahe stehenden Menschen einen riesen großen Krach, da ich nicht ertragen konnte was da so an "Gedankengut" geäußert wurde. Bin total erschrocken und traurig darüber.
    Gut, dass du deinen kleinem Neffen so ein wundervolles Geschenk machst.
    Liebst Grüße,
    Grete

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    1. oh, das mit dem krach kenne ich. meine entscheidung vegan zu leben hat vor einigen jahren meinen freundeskreis ganz gut ausgesiebt... von anderen vermeintlich "kruden" gedanken die ich so habe mal ganz abgesehen. irgendwas ist da, was viele menschen an denkenden menschen stört. man glaubt es kaum.
      nicht dne kopf hängen lassen.
      liebe grüße,
      jule*

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  5. Little John ist zauberhaft! Dein Neffe wird sich sicherlich darüber freuen - denn gerade hierzulange mangelt es doch noch stark an diversen Puppen. Wohin das Auge blickt, es gibt überall nur weiße Puppen. Ich wünschte, solche wie deinen John würde es häufiger geben. :/

    Unglaublich, wie aggressiv Menschen darauf reagieren, dass eins sie auf ihre eigenen rassistischen Einstellungen anspricht. Das haben wir ja kürzlich erst bei Ringelmiez' Eintrag zum Thema kulturelle Aneignung gemerkt, falls du diese Diskussion mitbekommen hast. Ich kann da auch ein Lied davon singen - ein großer Teil meiner Familie ist auch noch nicht im Jahr 2015 angekommen. Da ist Rassismus nur ein Problem von vielen. *seufz*
    Aber toll, dass du die Mutter gleich angesprochen hast! Vielleicht denkt sie mal ein wenig drüber nach. Ich würde ihr es wünschen, vor allem ihrem Sohn zuliebe.

    LG
    Jen

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    1. divers ist das zauberwort. diversity, damit habe ich mich auch mal beschäftigt und als du das geschrieben hast, fiel mir ein, dass bei meinem letzten nebenarbeitgeber eine puppe mit den merkmalen für trisomie 21 rumsaß. eigentlich könnte little john noch einen blindenstock oder einen rollstuhl gebrauchen...
      liebe grüße,
      jule*

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  6. Liebe Frau Jule,
    die Puppe ist super schön geworden und ich finde deinen Ansatz toll. Ich habe viele Freunde aus verschiedenen Ländern, mein Freund ist nicht in Deutschland geboren und ich arbeite mit Flüchtlingskindern. Ich denke, ich bin sensibel für Alltagsrassismus.
    Im Alltag halte ich es für praktikabel Menschen nicht vor den Kopf zu stoßen, wenn sie eine unreflektierte Bemerkung machen/ihren Sprachgebrauch nicht hinterfragen. Die Einstellung dahinter zählt für mich und diese nehme ich mir nicht heraus bei einem Passanten einschätzen zu können. Wer weiß, vielleicht setzt sich ja die Mutter in der Kurzwarenabteilung ehrenamtlich für Flüchtlinge ein o.ä.? Bei Bekannten oder Menschen, gegenüber denen ich einen Erziehungsauftrag zu erfüllen habe, gehe ich auf solche unterschwellig diskriminierende Bemerkungen dagegen ein und gehe ins Gespräch mit ihnen darüber.
    Da du bestimmt verschiedene Meinungen akzeptierst, wollte ich meine auch mal offen kundtun.
    Viele Grüße
    Julia

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    1. liebe julia,
      danke für deine meinung. ich kann sowas nicht. ich möchte nicht provozieren, ich möchte zum denken anregen. aber wo ziehe ich die grenze? müssen andere menschen erst verprügelt und flüchtlingswohnheime angezündet werden, bevor ich was sage oder kann das nicht auch bei den vermeintlich "kleinen" situationen geschehen. zudem kenne ich genug menschen, die gut ausgebildet sind, sich für flüchtlingskinder engagieren, aber trotzdem so einen quatsch von sich geben. ganz schlimm finde ich dieses gut gemeinte gutmenschentum, das man in bürgerlichen kreisen so antrifft.
      mir ist klar, dass es kein richtiges leben im falschen geben kann (schönen gruß an adorno), aber die kleinen dinge kann man schneller aus dem weg räumen als die großen. mein bildungsauftrag beginnt nicht erst an der schwelle zu meiner schule und ergibt sich auch nicht nur aus meiner tätigkeit als lehrerin, das wäre mir zu kurz gefasst.
      nichts für ungut und liebe grüße,
      jule*

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  7. Aplaus für deinen Mut! Ich hätte mich nur innerlich aufgeregt glaube ich...
    Die Puppe ist sehr goldig. Ich bin gespannt wie der Neffe die annehmen wird.
    Liebe Grüße
    Anika

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  8. Eine tolle Puppe :)

    Ich bin ja auch mit einem "Ausländer" verheiratet. Mein Mann kommt aus dem Kosovo und wir hatten zu Beginn mit den Ämter totale Probleme. Wenn wir zusammen unterwegs sind merken wir nichts, aber wenn er mit seinen Freunden etwas unternimmt merkt er es schon... Sie kommen nicht in jede Disco, Ausweiskontrollen der Polizei auf der Strasse... So ist es halt in Wien... Bei uns sind viele aus dem Ex-Jugoslawien und Türken. Dunkelhäutige haben wir witzigerweise wenig ...

    Wie ich 4 Wochen in Südafrika war habe ich die Dunkelhäutigen bei uns verstanden. WIR sind uns damals als Weiße unter all den wirklich sehr schwarzen Hautfarben komisch vorgekommen :S

    GLG, Geraldine

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  9. Schöner Puppe und einen einfühlsamen Text hast Du da formuliert. Danke!
    Lieben Gruß,
    Anita

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  10. Dass "hautfarben" so schrecklich falsch ist, ist mir erst dieses Jahr bewusst geworden - gruselig wie man manchmal in den Worten verhaftet ist, ohne zu hinterfragen, was sie eigentlich aussagen.
    Aufmerksam geworden bin ich darauf durch die Kampagne eines Unterwäsche-Labels, die "hautfarbene" Lingerie für women of colour macht und in dieser Kampagne die Vielfalt der möglichen Hautfarben dargestellt hat. Das fand ich spannend und toll.

    Und was "man kann's auch übertreiben" betrifft - das ist ja irgendwie die kleine Schwester von "man wird doch noch sagen dürfen". Schwierig. Ich hatte letzten Sonntag diesen Podcast zum Thema Politische Korrektheit verlinkt, den ich beim Hexagonen gehört hatte, da ging es zwischendurch auch um die Grenzen dessen, was man mitmachen möchte, bis wohin man der politischen Korrektheit in seinem eigenen Sprachgebrauch folgen möchte. Offensichtlich wollen das einige Leute nicht besonders weit.
    Wie ich damit umgehen möchte, hab ich für mich allerdings auch noch nicht rausgefunden. :/

    Liebe Grüße,
    Sabrina, die sich freut, diesem Link zu Little John gefolgt zu sein

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    1. mit dem begriff der "political correctness" tue ich mich im übrigen auch immer etwas schwer. gerüchteweise wurde sie erstmalig von weißen eingefordert, als in den usa gegen die rassentrennung rebelliert wurde. die "weißen" forderten die afroamerikanischen menschen auf, sich dieser in diskussionen zu bedienen. aufgrund mangelnder bildung war das aber ein hoffnungsloses unterfangen und führte so zu weiterer diskriminierung.... mal grob zusammengefasst. aber ich weiß wohl, was du meinst. kein richtiges leben im falschen. es ist zum mäuse melken und selbst das wäre nicht vegan...
      liebe grüße,
      jule*

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    2. Oh, diese Begriffsherkunft kannte ich noch gar nicht. Spannend!
      Und ja, dass es auch ein Bildungsdingens ist, zu wissen, welcher Begriff denn gerade als "korrekt" gilt, ist naheliegend. (Der Podcast ging auch durchaus kritisch mit dem Thema um.)
      Über den letzten Satz musste ich jetzt ein bisschen lachen. Danke. :)

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