Dienstag, 18. Februar 2020

Es ist deutsch in Kaltland


 Ich würde ja gerne behaupten, ich würde nur linke Socken stricken. Aber ich habe auch einen rechten Fuß und auf zwei Füßen läuft es sich besser. Socken stricken ist hier gerade wieder schwer angesagt. Kleines Projekt, immer gut zum Mitnehmen. Dazu habe ich eh ständig kalte Füße und brauche was Warmes dran. In Norwegen mit Antje habe ich so richtig dicke Sockenwolle gekauft. Ja, Wolle. Nicht vegan. Kurze Überlegungen dazu: Ich habe keine Lust mehr zu frieren. Alle Materialien, die aber neben Wolle zuverlässig warm halten, enthalten mir zu viel Mikroplastik, das sich beim Waschen schön im Waschwasser und dann auf der Erde verteilt. Es ist gehuppt wie gesprungen. Am Ende wurde es dann mulesingfreie Wolle aus Norwegen. Ich mag keine Diskussionen darüber führen, wie und ob Schafe leiden, wenn man sie schert oder dass das ja sein müsste. Grundsätzliche Kritik an Tierhaltung ist die Basis meines Veganismus. Aber frieren oder Mirkoplastik. Ich wollte beides nicht mehr.


 Dieses Frieren zieht sich bei mir mittlerweile bis tief in die Knochen. Ich kämpfe mit allem dagegen an: Bewegung, Sport, Sauna, Badewanne. Hilft nur so bedingt. Politisch ist es halt auch kalt. Einer der beliebtesten Aufseufzer in meinen alten Antifakreisen war immer "Es ist deutsch in Kaltland". Ein ehemaliger Mitbewohner hängte dann immer gerne ein "...auch menschlich" hinten dran. Ich bin kein kalter Mensch, den Tierleid kalt lässt. Ich bin auch kein Mensch, den Menschenleid kalt lässt. Egal welche Form.


 Leider scheint mangelnde Solidarität in politischen, wie auch privaten Zusammenhängen zumindest in meinem Umfeld gerade schwer en vogue zu sein. Das lässt mich frösteln. Solidarität sollte in politischen und privaten Zusammenhängen nichts sein, um das die Betroffenen bitten sollten. Solidarität muss passieren, sobald von Unrecht sichtbar wird. Schwierig wird es da, wo Diskriminierung und Repression nicht erkannt werden. Wo Solidarität als nicht notwendig erachtet wird, weil man selber nicht zu der betroffenen Gruppe gehört. Doch Solidarität funktioniert eben da am Besten, wo sie von nicht Betroffenen ausgesprochen und aktiviert wird. "Ich bin nicht betroffen, finde das aber trotzdem scheiße und stehe an der Seite der Opfer." hat eine unfassbar empowernde Wirkung. Und eine Abschreckende auf die Arschlöcher. 


 Wir müssen dringend aufpassen, wo es Solidarität zu zeigen gilt. Das heute, weil die Diskrimierung in meinem Umfeld irgendwie gefühlt krasser geworden ist. Homosexuelle, Frauen*, Behinderte, People Of Colour, alte Menschen, Menschen, die sich trauen den Mund aufzumachen auf Blogs und im realen Leben. Dazu die Menschen, die das herunterspielen. (Ziemlich) Offensichtlich, weil sie nie Opfer von Diskriminierung wurden. Erschreckenderweise in meinem Umfeld hauptsächlich (alte) weiße, heterosexuelle Männer. Erschreckenderweise meistens mit hohen Bildungsabschlüssen. Das sei nur darum erwähnt, weil sie sich so gerne etwas darauf einBILDEN. Es ist kalt in Deutschland. Auch menschlich. Lass mal lieber wieder warm machen.


 Und das auch dazu, warum ich Diskussionen mit solchen Menschen aus dem Weg gehe. Den Faschos und anderen Diskriminierenden. Irgendwann habe ich auch keine Lust mehr auf Erklärungen. Da wende ich mich lieber den Opfern zu, höre ihnen zu, stelle mich an ihre Seite. Socken stricken hilft dann höchstens zum Runterkommen. Solidarität wäre eine weitere wärmende Option gegen das deutsch in Kaltland. Lasst uns mehr Solidarität zeigen, auch oder gerade dann, wenn wir selber nicht zur betroffenen Gruppe gehören. Zum Abschluss noch meinen liebsten Spruch von Frau Postriot: "Nicht Milch, nicht Quark, Solidarität macht stark!" Dienstagssammlung.

7 Kommentare:

  1. Du hast recht. Mit den Socken, der Wolle, dem Veganismus und deiner Situationsanalyse. Ich wünsche dir wärmende Begegnungen!

    Mein erster Gedanke: Dem linken Fuss ist egal, ob die rechte Socke dran steckt, dem rechten Fuss egal, ob die linke Socke dran steckt. Den beiden Füssen ist es sogar egal, dass nicht beide Socken gleich sind. Oder macht nicht sogar das aus, dass dein Sockenpaar so speziell schön ist?

    Gibt es noch Bereiche, wo nicht gleich nach Positionierung verlangt wird?

    Und dann noch dieser Spruch: Bevor du über einen Menschen urteilst, gehe eine Meile in seinen Schuhen.

    Bei mir kriecht die Kälte über die Füsse und die Knie in den Körper. Für warme Füsse hast du ja schon mal gesorgt ...

    Liebe Grüsse von Regula

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    1. danke für deine worte. ja, und eigentlich stricken wir doch am liebsten linke socken, die auf viele füße passen.
      liebst,
      jule*

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  2. Der Spruch ist toll, das Frieren an Füßen und noch mehr an der Seele überhaupt nicht. Macht krank auf Dauer. Das Kaltland ist schon eh immer ein etwas unsolidarischer Ort gewesen, aber das liegt an der unbearbeiteten Vergangenheit, die die Herzen immer zugeschnürt hat ( sonst wär da auch was anderes zutage gekommen ). So erklär ich mir meine Erfahrungen von kleinauf...
    Drücker!
    Astrid

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    1. ja, es ist erschreckend, was solch ein trauma mit einer ganzen gesellschaft macht. und es die trauma von menschen aus anderen gegenden der welt... man mag gar nicht weiter denken...
      liebst,
      jule*

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  3. Ich schicke dir ganz viele warme Gedanken. <3

    Alles Liebe,
    Sabrina

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  4. Ach, Jule, ich les' so so gern bei Dir!
    (Das wollt' ich schon lange mal sagen.)

    Herzliche Grüße,
    Steffi.

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