Donnerstag, 13. April 2017

Glücksrad

 Unter dem Label "Kopfkirmes" gibt es auf diesem Blog hin und wieder lose Wortklaubereien, die sich im Laufe der Zeit in meinem Kopf zusammengebraut haben. Sie stehen in keinem Zusammenhang zu den sonstigen Themen hier. Ich weise jegliche Bezüge zu aktuellen Geschehnissen und autobiografische Zusammenhänge von mir. Es sind Worte, die aus meinem Herz in den Kopf sprudeln, dort toben und nach Freiheit verlangen. Teilweise sind die Wortklaubereien älteren Datums, teilweise auch glänzend neu. Ich lasse sie hier einfach frei.  

Glücksrad (03.2005)

 Es läuft gerade sehr gut für mich. Ich bin mal wieder am Zug. Gekonnt drehe ich an dem großen Rad vor mir, es bleibt bei 1500 stehen. Wahnsinn, eine echte Glückssträhne. So etwas habe ich sonst nie und das ist noch nicht mal gelogen. Ich habe schon die Hälfte des Satzes gelöst, welcher auf den kleinen leuchten Tafeln vor mir an der Wand von mir erraten werden soll. Die junge knapp bekleidete Dame mit der enormen nicht natürlichen Oberweite und dem festgetackerten Grinsen im Gesicht schaut mich erwartungsvoll an. Ein „E“ möchte ich kaufen, ebenso ein „I“. Ich höre das verheißungsvolle Klingeln. Volltreffer. Den zweiten Teil des Redewendung könnte ich schon sagen, aber der erste will mir nicht einfallen. Ich höre mich schon sagen: „Ich nehme die Waschmaschine, den Trockner, das Bügelbrett und den netten jungen Herrn in der ersten Reihe.“ Vor meinem inneren Auge gehe ich mit ihm schon am Main spazieren. 

 
  Eigentlich brauche ich das nicht- also das vorstellen- denn dort sitzen wir gerade in einem Straßencafe. Wir sind hierher geschlendert. Die Sonne scheint, es wird schon fast Sommer. Kinder auf Rollschuhen laufen herum und alte Ehepaare gehen Hand in Hand spazieren, so wie wir bevor wir uns an den kleinen Tisch setzten. Irgendwann möchte ich auch 600 Jahre alt sein und seine Hand immer noch so zufrieden halten, wie die alte Frau mit ihrem wohl ebenso alten Mann, die an uns vorbei spazieren. Ich könnte platzen vor Glück. Der Winter ist vorbei, mir gegenüber am Tisch sitzt der tollste Mann der Welt. In mir knistert es wie ein gesamter Steppenbrand in der inneren Mongolei. Hier hilft kein Wasser. Am liebsten würde ich laut aufjauchzen. Das hier ist unser zweiter gemeinsamer Frühling und es kommt mir vor als hätte er die drei kleinen Worte erst gestern das erste mal zu mir gesagt.

  „Möchten sie auflösen?“, fragt mich der Moderator. Ich kann es nicht und überlege angestrengt, was das für eine Redewendung sein soll. Irgendwas war doch da, ich habe es auf jeden Fall schonmal gehört oder gelesen. In den Augenwinkeln kann ich den netten Typ in der ersten Reihe sehen, der mich interessiert und auffordernd anschaut. „ Versau es jetzt bloß nicht.“, schießt es durch meine Kopf. Aber es will mir nicht einfallen. Verdammt nochmal. Ich will die Waschmaschine und den Kerl.

  Ich blinzle mein Gegenüber an. Die rosa Brille steht mir bestimmt ganz fantastisch. Ich greife nach seinen Händen und will über sie streicheln, doch er zieht sie weg. Ein kalter Hauch umfährt mich und ich sehe in fragend an. Seine Miene verhärtet sich. Wird ausdruckslos.

  Liebe, ich sehe nur Liebe auf den Leuchttafeln. Das Grinsen der Glücksfee wird langsam unerträglich, wenn ich das jetzt hinbekomme, poliere ich ihr hinterher in der Garderobe die Fresse. Liebe... Liebe.... Liebe... in der Liebe... Herrje, das kann doch nicht so schwer sein. Ich höre schon das Ticken des Zeitzählers. Meine Zeit läuft ab und ich bin so kurz davor. Alle Kameras auf mich gerichtet, ich sehe die roten Lämpchen. Tick tack tick tack.

  „Ich muss dir was sagen.“, fängt das ausdruckslose Gesicht, welches ich sonst so gerne angeschaut habe an zu sprechen. Nein, bitte nicht. Das Gesicht wird mir fremd. Es kommt mir vor, als säße ich 1000 Meter weit entfernt. Mein Stuhl wackelt. „Ich liebe dich nicht mehr.“ Ich kenne ihn nicht mehr. Mein Stuhl fällt rückwärts in den Main und ich hinterher. Das hat er nicht gesagt. Mein Blick wandert verzweifelt an den Tisch neben uns. Aber dort sitzt eine Familie mit drei kleinen Kindern an fünf gemischten Eisbechern. Sofort fühlt mein Magen sich an, als hätte mit jemand Glasscherben hineingeworfen. Ein Dolch durchstößt meine Brust, die rosa Brille sinkt schneller auf den Grund des Mains. „Es ist nicht mehr wie früher, ich kann nicht mehr mit dir zusammensein.“ Ich sehe, wie sich seine Lippen bewegen, doch es kommt nichts mehr an. Er wirft mich aus seinem Leben und ich sitze regungslos da. Die Schlange hat zugebissen und das lähmende Gift hat längst seinen Weg in meine Gliedmaßen gefunden. Der Steppenbrand ist gelöscht. In mir krümmt es sich zusammen und ich falle. Er steht auf und ich spüre den eisigen Wind, der nicht aufhören will, während ich weiter falle.

  Noch tickt es, als mir der rettende Einfall kommt. Triumphierend rufe ich: „ Ich möchte auflösen: Glück im Spiel, Pech in der Liebe.“ Applaus. Es ist richtig. Mitleidig schaut die ältere Dame neben mir mich an. Der knackige Typ aus der ersten Reihe ist längst verschwunden. Aber ich kann die Waschmaschine mit nach hause nehmen.

2 Kommentare:

  1. Ich muss auch mal wieder (privat) kreativ schreiben, glaube ich.^^

    Liebe Grüße,
    Sabrina

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    1. ja tu das und hau hin und wieder mal was davon raus! ich habe ja auch nur so gut wie alte sachen. etwas neues wäre sicherlich auch mal sehr cool...
      liebe grüße,
      jule*

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