Mittwoch, 26. April 2017

Politisiert euch! Gastbeitrag von Caro

 Yeah! Ich habe noch einen Gastbeitrag zu meinem Politisierungsaufruf für euch. Caro hat in die Tasten gehauen und einen sehr spannenden Beitrag zum Thema Handarbeit ist politisch geschrieben. Ich freue mich ganz besonders, dass sie hier ein politisches Thema mit Handarbeit verknüpft hat, zu dem ich niemals etwas schreiben kann, weil es Erfahrungen sind, die ich nicht machen werde. Und ein bisschen hat sie bei mir auch das Bild der "Bastelmuddi" erweitert. Zudem auch ein Thema, das vermutlich zur ein oder anderen Kontroverse führen könnte. Ich bin Caro unendlich dankbar, dass sie den Mut hatte, das hier auszubreiten. Text und Bilder stammen von ihr. Ich überlasse ihr heute meine kleine Blogbühne. Danke, liebe Caro für deinen Beitrag!:

Von Bastelmuddis, English Paper Piecing und der kinderfeindlichen Gesellschaft


 Ich bin Caro, treue Leserin von Frau Jules Blog, selbst bloglos und begeisterte Werklerin in Elternzeit. Als Frau Jule dazu aufrief sich zum Politischen von Handarbeit zu äußern fühlte ich mich direkt angesprochen, weil ich glaube, dass Handarbeit durchaus etwas mit Elternsein in unserer Gesellschaft zu tun hat.



 Als ich darüber nachdachte ein Kind in die Welt zu setzen, wollte ich alles ganz anders machen als all die Bastelmuddis, die nur noch zu Hause bei ihren Kindern sitzen und nie wieder gesehen waren. Dass ich jetzt doch eine bin und es mich manchmal in den Wahnsinn treibt hat mehrere Gründe:

1. Elternsein ist anders als gedacht: In meiner Fantasie malte ich mir aus was ich alles in meinen 6 Monaten Elternzeit mit Kind unternehmen könnte: Demos, Konzerte, Sport, Freunde treffen, Ehrenamt. Ich trage das Kind bei mir und tue sonst fast alles ist wie immer. Die Realität sieht eher so aus, dass es besonders im Winter schwierig ist mit Kindern unterwegs zu sein. Es fehlt an Wickel- und Stillmöglichkeiten, an Rückzugsmöglichkeiten und Verständnis. Wie ich mit Erschrecken feststellen musste gerade in „linken“ Strukturen. Man zieht sich nach Hause zurück und plötzlich ist es noch nicht mal mehr leicht sich mit befreundeten Menschen zu unterhalten, besonders wenn man nicht über Kinder sprechen möchte. Denn es gibt nur noch Kinder im Leben. Man bewegt sich in einem eigenen Kosmos und wird einsam.


2. Mir fehlt offenbar ein Muttergen. Ich bin unendlich dankbar diesen Menschen ein Stück auf seinem Weg begleiten zu dürfen, aber ich merke, wie ich die Achtsamkeit für mich selbst verliere. Mir fehlt es ganz für mich zu sein. Mir fehlt es länger als drei Minuten zu duschen, zu essen oder aufs Klo gehen zu können. Auch beim Stillen fehlt es mir manchmal meinen Körper wieder für mich zu haben.
Ich glaube Kindererziehung ist nicht für unsere (post-)industrielle Gesellschaft gemacht. Sondern für Großfamilien und das Leben in Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig stützt und entlastet und nicht Partner, Familie und befreundete Menschen der Lohnarbeit nachgehen müssen und Lohnarbeit und Kinder generell schwer vereinbar sind. In keiner Weise macht mich das Kind unglücklich, das ich in die Welt gesetzt habe, sondern unglücklich machen mich die Bedingungen unter denen Eltern in diesem Land Kinder aufziehen müssen.


3. Ich leide unter einer Krankheit meiner Generation: Akuter Perfektionismus in der Leistungsgesellschaft. Ich fühle mich nur gut, wenn ich etwas geschafft habe. Aber die Arbeit die ich zu Hause tue kann man nicht sehen, ihr Ertrag ist von kurzer Dauer und wird ohnehin nur selten als richtige Arbeit anerkannt. Ich jedenfalls wusste nicht, dass es so anstrengend sein kann den ganzen Tag zu Hause zu sitzen und ein Kind zu stillen, zu wickeln, zu tragen, zu kochen und zu bespaßen. Nach vierzehn Stunden bleibt neben dem Chaos in der Wohnung nur noch das Gefühl unter größtmöglicher körperlicher Anstrengung nichts geschafft zu haben.


 Was dann folgte hat auch irgendwie ein bisschen mit DIY im ursprünglichen Sinne, Selbstermächtigung und Handlungsfähigkeit zu tun:
Schon lange wollte ich mal English Paper Piecing ausprobieren (ein riesiges Bodenkissen soll es werden) und ich fand, dass die Elternzeit genau passend dafür wäre:
  • Ich konnte mit dem Kind neben mir oder im Tuch auf dem Sofa sitzen und etwas tun, was es mir ermöglichte gleichzeitig auch dem kleinen Menschen Aufmerksamkeit zu schenken.
  • Ich hatte das Gefühl von Produktivität. Jeden Tag konnte ich einen Fortschritt (wenn auch nur einen kleinen) sehen.
  • Ich hatte das Gefühl wieder etwas für mich zu tun und mich nicht aufzuopfern. Ich fühlte mich wieder handlungsfähiger und wie ich selbst.
  • Im Sinne von Nachhaltigkeit konnte ich meine Stoffreste verwerten, alte Kleidung zerstückeln einfach etwas schaffen aus dem was ich vorfand. Ich musste kein Geld ausgeben, nicht einkaufen.
  • Und schließlich konnte ich wieder über etwas anderes sprechen als Kinder. Ich brachte befreundeten Menschen die Technik bei, tauschte Stoffreste, holte mir Rat, befähigte mich im besten Sinne des Wortes. Den ersten Tag ohne das Kind verbrachte ich bei einem Nähkurs. Ich lernte neue Leute kennen, erlernte neue Techniken.
  • Jetzt möchte ich auch gemeinsam mit dem Kind wieder nach draußen, vielleicht beginnend bei Näh- und Upcyclingtreffen mir wieder die Stadt zurück holen und dabei selbst kinderfreundlicher machen und aufmerksam machen auf Hürden für Kinder und Eltern.
 So habe ich das Gefühl durch etwas vermeintlich Banales wie eine Handarbeitstechnik mir selbst Stück für Stück meine Selbstbestimmung in einer kinderfeindlichen Gesellschaft zurück erobert zu haben. Und am Ende bin das was ich nie sein wollte: Eine Bastelmuddi
Vielleicht gibt es deshalb so viele von ihnen, weil Handarbeit hilft (egal ob mit oder ohne Kind) zusammenzukommen, sich auszutauschen etwas zu erschaffen ohne im besten Fall etwas leisten zu müssen. Und wenn man es schafft raus zu gehen, Wissen zu teilen, sich zu ermächtigen dann ist es irgendwie auch nicht schlimm eine Bastelmuddi zu sein.


5 Kommentare:

  1. genau so ist es - toll geschrieben, caro!

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  2. Ich gebe zu so wirklich hatte ich über diesen Aspekt noch nie nachgedacht. Aber es stimmt, genau so ist es. Vielen Dank für diesen Beitrag und auch für die Fotos, sieht schick aus.

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  3. Frau Caro! Danke für deine Worte. Die sind gerade Schmieröl für mein Getriebe als Mutti, Frau, Mädchen, Arbeiterin...Mensch. Und Dankeschön Frau Jule, der Wunderbaren, die für dich hier Raum gegeben hat.
    Sonnenscheingrűße schickt Doreen.

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  4. Muss jetzt zum Aquajogging! Schreib später dazu! Lese grade noch deinen gerade eintrudelnden Kommentar!
    GLG
    Astrid

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  5. Ja. Auch ohne Kind finde ich mich in diesem Beitrag ziemlich wieder - meine Gründe für's Werkeln sind doch relativ ähnlich, auch wenn es bei mir ein Gegengewicht zum Studium bzw. zum Beruf ist. Sollte ich mal Kinder haben, werden mich Handnähprojekte bestimmt auch dabei begleiten.

    Liebe Grüße,
    Sabrina

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