Dienstag, 30. Oktober 2018

Glitzer und Fight-Life-Balance


Needle the system, needle the cistem, needle einfach alles! Frau Jule hat ne neue Fahne. Das ist das Endergebnis des unfertigen Feminismus von Frühjahr. Eigentlich sollte diese schicke Fahne mit mir am Weltfrauen*tag auf die Straße gegangenen sein, doch sie wurde nicht fertig. Nun steht sie seit einigen Wochen schon bei mir rum und wehte immer noch nicht im Hamburger Wind. Ich bin mir auch nicht sicher, wann sie es tun wird. Im Moment sind andere Dinge durch die Gegend zu tragen.


 Was auf den Bildern leider nicht so gut zu erkennen ist, ist die Tatsache, dass der komplette Stick mit Glitzergarn gestickt wurde. Auf der Maschine. Und dann stand sie so da rum und die Themen dazu rotierten in meinem Kopf. Am Ende blieb der Satz: "Mir ist in den letzten Wochen beim politischen Engagement irgendwie der Glitzer verloren gegangen." Es ist keine Leichtigkeit mehr da. Politik ist nicht leicht, doch an den Rändern war da immer noch sowas zu finden. Menschen, mit denen man mehr als das Engagement, die Feindbilder und Inhalte teilte. Menschen mit denen man nach der Demo noch loszog, alberte, trank, tanzte, Konzerte besuchte. Das ist wichtig. Wer gemeinsam kämpft, soll auch gemeinsam feiern können. Mensch könnte das flapsig "Fight-Life-Balance" nennen.


 Doch irgendwann stellt man dann fest, dass die Solidarität und Konsens, die im politischen Kontext so sehr hoch gehalten wird, im Alltag verpufft, nicht mehr zu gelten scheint. Da werden Dinge getan und gesagt, die man in der politischen Aktion niemals tolerieren würde, weil man hat ja jetzt Spaßzeit. Da wird den Mitkämpfenden in den Rücken gesprungen, sie werden alleine gelassen, wenn Hilfe benötigt würde. Da geht die Leichtigkeit verloren, weil man sich nicht mehr auf andere verlassen oder ihnen vertrauen kann. Stehe ich alleine da, wenn ich da sage: "Das finde ich seltsam."? So oft erlebt. Gerade jetzt, wo die Menschen mit auf die Straße kommen, die vorher mit politischem Engagement wenig an der Mütze hatten. Es ist gut, dass ihr jetzt mitkommt, aber Politik ist mehr als demonstrieren. Was veranlasst Menschen, auf der Straße "Hoch, die internationale Solidarität!" zu gröhlen, es dann aber im privaten Kreis zu vergessen? Wo liegt der Unterschied zwischen Sexismus und (Alltags-)Rassismus im öffentlichen Raum und im privaten Kreis? Den einen verurteilen, den anderen reproduzieren? Was ist da los?


 Ich ver- oder beurteile niemanden, der das aus Unwissenheit nicht hinbekommt. Mir ist durchaus klar, dass z.B. in meinem Leben eine Menge Themen eine Rolle spielen, mit denen die meisten Menschen nicht mal ansatzweise in Berührung kommen. Sei es unschuldig oder aus Desinteresse. Aber Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Offenheit, Solidarität, Wertschätzung, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft und Vertrauen sind doch einfach mal total banale Dinge. Sowohl im Hinblick auf politisches Engagement als auch im Privaten. Es macht mich unendlich traurig, dass das da vorbei sein soll, wo wir nach der Demo oder der Aktion die Fahnen und Banner wieder einrollen. Zudem sind sie unabdingbar, wenn es um die Aufrechterhaltung von Motivation für eben dieses Engagement geht. Wenn wir uns im Privaten anlügen und in den Rücken fallen, uns nicht auf einander verlassen können, raubt uns das doch allen Energien, die wir (gerade in diesen Zeiten) für andere Dinge brauchen, als alleine zur Aufrechterhaltung unserer psychischen Funktionsfähigkeit. Gegenseitige Unterstützung ist etwas verdammt Feines und Energiespendendes, was dringend notwendig ist.


 Natürlich sind vor allem vertschätzende Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit manchmal verdammt anstrengende Dinge. Für alle Seiten, auch oder gerade wenn es um unschöne Dinge geht. Aber Lügen und in den Rücken fallen, sabbotiert alle Beteiligten. Und dann geht auch die Leichtigkeit in der "Fight-Life-Balance" flöten. Das kann niemand gebrauchen, niemals. Es sorgt dafür, dass wir uns trennen, voneinander entfernen uns nicht nur privat misstrauen. Streut Glitzer ins Leben von euch und anderen. Seid ehrlich, hilfsbereit, wertschätzend, zuverlässig und freundlich. Manchmal muss man die Arschbacken dafür zusammenkneifen, manchmal erscheint das auf den ersten Blick anstrengender, als den Arsch für eine Demo im nass-kalten Herbstwind hochzubekommen. Aber das ist allemal besser, als dass wir uns selbst spalten und nicht mehr gemeinsam kämpfen können. Passt auf euch und aufeinander auf. Denn das ist die Basis von Solidarität. Beim Kampf um Feminismus und Antifaschismus und weiß der Geier was noch alles sind gute zwischenmenschliche Beziehungen wichtig. Und diese Kämpfe werden wir vermutlich leider noch sehr lange führen müssen und dafür braucht es einen gemeinsamen langen Atem.


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