Donnerstag, 9. November 2017

Nazis boxen mit Heidi


 Ich musste echt tief in meinem Blogarchiv wühlen, um den Beitrag zur  Heiditasche wieder hervorzuholen. Genäht hatte ich sie damals als Festivaltasche für das Rockharz. Sie war perfekt. Sie hat ein tolles Format und ich bin nach wie vor von meinen Taschennähkünsten total begeistert. Lediglich das Heidimotiv gefiel mir irgendwie nicht mehr so gut. Es war mir zu lieblich. Das bin ich nicht. Kurz bevor ich diese fabelhafte Tasche aber ausmistete, hatte ich eine Eingebung. Ein bisschen weißer Stoff, Vliesofix und meine Maschinenstickkünste. Herausgekommen ist dabei folgendes:


 Und Gedanken habe ich mir dabei auch gemacht. Ich stehe ja absolut nicht auf Gewalt, aber Nazis boxen find´ ich okay. So. Aber jetzt mal im Ernst: Wie mutig wäre ich eigentlich, wenn es wirklich drauf ankäme?



 Es gab da mal so eine Situation, in der ich mich im Zusammenhang mit Nazis ziemlich schäbig gefühlt habe. Es war vor Jahren nach einer Party bei Freundesmenschen in Frankfurt. Es war mitten in der Nacht, mein Weg nach Hause nicht weit und ich ging alleine zu Fuß an einer großen Straße entlang. Sie kamen mir entgegen. Sie hatten Wahlplakate und Leitern unterm Arm. Es war vor irgendeiner Wahl und sie plakatierten für so eine Partei, die ihre Plakate gerne weit oben an den Laternenpfählen aufhängt. Bilderbuchnazis, mit entsprechender Auftrittsymbolik, echte Schränke, drei an der Zahl. Sie kamen mir auf meiner Straßenseite entgegen. Ich sah eben aus, wie ich aussah, mit entsprechender Symbolik an Klamotten und Co. und war alleine. In meinem Kopf kämpfte es: Staßenseite wechseln? Abbiegen? Weglaufen? Taxi rufen? Einfach weitergehen? Einen Spruch bringen? Fresse halten? Ich konnte sie nicht einschätzen. Ich ballte die Faust in der Tasche und ging festen Blickes an ihnen vorbei. Wir schwiegen alle. In meinen Adern rauschte die heiße Wut.


 Ich kam heile zuhause an. Den Rest des Heimwegs ärgerte ich mich. Über meine Feigheit, darüber, dass ich die Zähne nicht auseinanderbekam, über deren politische Gesinnung, über Arschlöcher im Allgemeinen. Vielleicht hatte ich einfach Glück, dass sie mir keinen auf die Nase gegeben haben. Es braucht nicht viel Mut in dieser Gesellschaft und Gegend in der ich lebe, die Zähne auseinander zu bekommen und aufzustehen und Undinge anzuprangern. Es ist ein leichtes, sich zu positionieren, wenn man nicht um Leib und Leben fürchten muss. Von meinen Lernenden werde ich beim Thema NS-Zeit oft gefragt, was ich in der aufkeimenden Naziherrschaft wohl getan hätte. Ich muss mir dann immer an die eigene Nase fassen und sagen, dass ich es nicht weiß. Ich weiß nicht, ob ich den Mut einer Sophie Scholl oder einer Irena Sendler hätte. Ob ich mein Leben riskieren könnte. Ich habe ja bei jeder Antinazidemo schon die Büx voll, sowohl vor denen als auch vor der Pozilei. Was mich natürlich nicht davon abhält, da hin zu gehen.


 Ich ziehe meinen Hut vor all jenen, die in Gesellschaften und Gegenden leben, in denen es gefährlich ist, sich zu positionieren. Sowohl in Schland, als auch in anderen Gegenden der Erde. Wenn ich Berichte zu linken Aktiven im Osten oder im Pott lese, wird mir ganz anders. Was mir all das aber sagt ist, dass es wichtig ist, immer wach zu bleiben. Die Werte, die mir wichtig sind zu leben, zu verteidigen. 12,6% Nazis im Bundestag auch in den nächsten vier Jahren immer wieder kritisieren und nicht als normal und gegeben zu akzeptieren. Aufstehen, wenn es nötig ist, Faschismus schon im Kleinen aufzuzeigen, zu benennen und zu bekämpfen, bevor ich mich der Entscheidung stellen muss, ob ich nun mein Leben einsetzen muss. Heute ist der 79. Jahrestag der Reichspogromnacht. Zeit mal wieder Kerzen in die Tasche zu packen und eine Runde an den Stolpersteinen im Viertel vorbeizudrehen. Erinnern ist in dem Zusammenhang wichtig. Und Licht ins Dunkel bringen immer und immer wieder.


  Erinnern und Nazis boxen. Mindestens verbal. Denn die dritte Regel des Boxclubs lautet: "Wer einen Nazi sieht, muss ihn boxen!" Und Heidi und ich sind jetzt auch Mitgliederinnen im Geiste. Nie wieder Deutschland und auf sie mit Gebrüll!!! Heute auch in der Donnerstagssammlung.


3 Kommentare:

  1. Hallo Jule,
    find ich ganz gut dass du so für deine Überzeugungen eintritts und meiner Meinung nach hast du dich in dieser Straße in der Nacht ganz richtig verhalten. Was hätte eine Auseinandersetzung gebracht? Außer ne blutige Nase? Die Gruppe in diesen Moment mit sachlichen Argumenten zu überzeugen wäre sowieso nicht möglich gewesen.
    Da muss man schon abwägen wann ist man einfach nur feige und wann rentiert es sich einfach nicht! Ich finde sowas hat nix mit Feigheit zu tun, sondern nur mit gesunden Menschenverstand.
    Ich les sehr gerne bei dir.
    Liebe Grüße
    Susi

    AntwortenLöschen
  2. Ach liebe Jule, das hat nichts mit Feigheit zu tun sondern einfach auch mit Intelligenz, du wirst sie in einer Nacht nicht belehren können, du wirst nichts an ihrer Meinung ändern, und von Überzeugung etc. bist du dann auch weit entfernt, somit war es einfach auch eine richtige Entscheidung, das so stehen zu lassen und zu wissen, wer wo was denkt. Und ganz ehrlich, egal in welcher "Etage" solche Plakate hängen, die Leute, die denken können können das und denen ist es auch egal, was wo hängt...
    Liebe Grüße Jacky

    AntwortenLöschen