Montag, 18. Mai 2020

Aus dem Homeoffice einer Sonderpädagogin


 Die folgenden Gedankenströme sind meine. Sie bilden nicht die Allgemeinsituation der Lehrkräfte in Deutschland vor und während des Pandemiegedöns und der damit verbundenen Schulschließung ab. Zur Ausgangssituation sei gesagt, dass ich Sonderschullehrerin bin, dank Inklusion an einer ganz fantastischen Hamburger Stadtteilschule arbeite (das ist vergleichbar mit Gesamtschulen anderswo). Wir haben ein anderes didaktisch-pädagogisches Konzept als die meisten anderen Schulen, ich unterrichte Deutsch fachfremd und bin da sonst eher in der sonderpädagogischen Förderung unterwegs. Das nur mal flott vorneweg.



 Okay, da sitze ich also in meinem Arbeitszimmer und versuche aus der Ferne zu unterrichten. Das ganze Anfangsdrama bekam ich krankheitsbedingt nicht mit. In Hamburg gab es noch Märzferien und danach waren die Schulen dicht. Viele engagierte Lehrkräfte schmissen sich voller Elan in die Organisation von Fernunterricht, Homeschooling, whatever. Als ich dann einstieg, hatten sich die gröbsten Wogen geglättet, es waren Onlineplattformen gefunden worden, mit denen es sich wohl gut arbeiten lässt. Ich stand dann allerdings da und mein erster Gedanke war: "Spinnt ihr eigentlich alle? Womit soll ich denn arbeiten?" Wer hier schon länger mitliest, hat vielleicht bereits bei den 12 von 12 festgestellt, dass ich mich regelmäßig über die digitale Ausstattung im Raum Schule echauffiere. Auch Lehrkräfte müssen schon seit längerem mal was am Computer machen, Unterricht vorbereiten, Arbeitsblätter bauen, E-Mails lesen... Weil man das nunmal so macht im 21. Jahrhundert. Allerdings gilt zumindest in Hamburg die Faustregel: Ein Computer für 5-6 Lehrkräfte in der Schule sind ausreichend. Manchmal laufen die, manchmal nicht, manchmal hat man Glück und einer ist frei, manchmal hat man die Zeit während der Schulöffnungszeiten am PC zu arbeiten. Aber wer macht das denn bitte? Wir bekommen von unseren Arbeitgebenden keine digitalen Endausgangsgeräte gestellt. Wir können keine Laptops an Beamer oder Smartboards anschließen, weil wir keine haben. Also weder Beamer, noch Smartboards noch Endausgangsgeräte. Keine für unseren persönlichen beruflichen Gebrauch. Ein Arbeitgeber, der von seinen Angestellten erwartet, digital zu arbeiten, digitales Wissen evtl. auch an Lernende zu vermitteln, aber keine technischen Gerätschaften, Wartung und Service zur Verfügung stellt. Manchmal bekam und bekomme ich da so schlimmen Hass, dass ich meine Arbeitsblätter am liebsten mit dem Mund malen möchte...



 Und natürlich haben die Lernenden dann auch keine digitalen Endgeräte zur Verfügung. Wer Glück hatte, hat zuhause einen Laptop oder PC. Vielleicht ein Tablet oder Smartphone. Aber zumindest an letzterem ernsthaft arbeiten und lernen? Schwierig. In anderen Lebenssituationen teilen sich mehrere Menschen ein digitales Endausgangsgerät. Wie soll das denn funktionieren? Die Schere zwischen den Privilegierten und den anderen geht gerade weiter auseinander. Wurde schon oft gesagt. Und im Hintergrund eine Behörde, die im letzten Papier zur Digitalisierung an Schule noch "bring your own device" ganz unverfroren propagierte. So nach dem Motto: "Liebe Lehrkraft, besorge und bezahle dir deinen Rechner selbst. Immerhin kannst du den (und dein Arbeitszimmer) dann ja von der Steuer absetzen. Vielleicht funktioniert dann auch mal das W-Lan. Aber wer weiß das schon." Aber hier will sich niemand beschweren.



 Ich habe also meine Arbeit aus dem Homeoffice damit angefangen meiner Klasse Postkarten zu schreiben. Selbstgezeichnet natürlich. Weil eigentlich geht ja auch nichts anderes. Ein verzweifelter Versuch der Beziehungsarbeit. Denn seien wir mal ehrlich: Am besten funktioniert Lernen in Schule über die Beziehungsebene. Und die findet gerade nicht statt. Ich sehe mich gerade auch nicht in der Lage, ernsthaft Wissen zu vermitteln. Vielmehr mache ich Angebote, versuche den Kontakt zu halten, melde mich, beantworte Fragen zu Arbeitsaufträgen, höre zu, sporne aus der Ferne an und versuche am Telefon zuzuhören und zu trösten. Versuche Eltern zu beruhigen. Das finde ich der Situation angemessen. Das Schöne an dem pädagogisch-didaktischem Konzept meiner Schule ist nämlich auch, dass es nicht primär um inhaltliches Lernen, sondern um Kompetenzerwerb geht. Das eröffnet die Möglichkeit, dass ich meinen Fernunterricht ein wenig an der derzeitigen Situation anpassen kann. Aber auch das ist nur ein schwacher Trost. Sonderpädagogische Förderung, die in den Fällen meiner Lernenden gebraucht wird, findet zu 100% über die Beziehungsebene statt und die findet gerade eben nicht statt.... Gerade bin ich "nur" eine Regelschullehrkraft und das macht mich nicht glücklich oder gar zufrieden. Einen Bürojob wollte auch ich nicht haben. Dazu dann aus der Behörde immer nur so beknackte Mails mit "best practice Beispielen", die andere Lehrkräfte so aus dem Hut zaubern. Erhöht leider lediglich den Druck, noch mehr geilen Scheiß zu zaubern, mit Mitteln, die einem eigentlich nicht zur Verfügung stehen. Ein Dienstrechner für den Anfang wäre hilfreicher als so nen paar warme Zeilen.


 Wenn Eltern sich jetzt bei und über Lehrkräfte beschweren, finde ich das schwierig. Es ist nett, wenn ihr ihnen ein digitales Endgerät zur Verfügung stellen könnt und ihnen beim Einrichten der Lernplattformen helft. Weil das konnten wir in Schule nie vermitteln, weil uns Lehrkräften dazu die Gerätschaften in der Schule fehlten. Wenn ihr das nicht könnt, dann lasst es halt. Lasst die Kids ihre Probleme selber lösen und dabei Fehler machen. Kenne ich aus der Schule: Lieber erstmal um Hilfe fragen, bevor man selber anfängt zu denken. Ein beliebtes Spiel, vor allem von Pubertieren, das auch uns Lehrkräfte auslutscht. Und Fehler machen ist sososososo wichtig. Denn in der Korrektur dieser, liegt auch ein Lerneffekt. Vor allem für Frustrationstoleranz. Und wenn Lehrkraft X das anders macht als Lehrkraft Y, dann bitte nicht darüber mosern. Uns sagt auch niemand, was wir machen sollen und wir versuchen gerade auch nur mehr oder weniger verzweifelt irgendwas am Laufen zu halten. Vielleicht können wir uns bald mal alle zusammentun: Jedem Kind und jeder Lehrkraft ein brauchbares digitales Endgerät und freies W-Lan für alle. Nicht, weil die nächste Pandemie schon in den Startlöchern steht, sondern vielmehr weil wir schließlich im 21. Jahrhundert leben. Postkarten schreibe ich auch trotzdem weiter gerne. Und Eltern dürfen die Zeit auch gerne statt für Schulkram mit ein bisschen echter Qualitytime füllen. Für´s Leben lernen, nicht für die Schule.

2 Kommentare:

  1. Das unterschreibe ich zu hundert Prozent. Ich bin nicht im sonderpädagogischen Bereich tätig und Geräte sind genug vorhanden.

    Wir hatten/haben (wer weiss, ob das wiedermal passiert) das Glück, dass an unserer Kreativität appelliert wurde und alle vom Lernzielerreichendruck entbunden waren/sind. Es gibt nicht einmal ein promotionsrelevantes Zeugnis. Ich habe diese Vorgaben voll ausgeschöpft. Liebe Grüsse zu dir. Regula

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    1. ja, die entbindung von der lernzielerreichung wäre wirklich hilfreich gewesen... da hat in hamburg aber vermutlich jemand angst vor den helikoptereltern. der megacoole kultusminister aus dem anchbarland hat das hinbekommen... muss jetzt wohl...
      durchhalten!
      liebst,
      jule*

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