So, wie fange ich diesen Beitrag an? Ich denke dieses Materialbild zeigt es schonmal ganz gut. Ich musste gar nicht viel Material kaufen und schon konnte ich mein sehr lange angedachtes und durchdachtes Projekt anfangen.
Darf ich vorstellen: Little John! Das ist nur der Arbeitsname für dieses Wesen. Aus Gründen. Es wird an meinen Neffen verschenkt werden und es gibt eine kleine Geschichte hinter dieser Puppe:
Einer der besten Freunde meines Bruders kommt aus Gambia. Als wir uns das letzte Mal sahen, war ich einfach mal ganz frech- weil es mich wirklich interessiert hat- und habe ihn gefragt, ob er aufgrund seiner Hautfarbe hierzulande jemals Probleme mit Rassismus gehabt habe. Er erzählte mir daraufhin von den kleinen, alltäglichen, rassistischen Erfahrungen, die er so machen würde. Z.B. kann er sicher sein, dass in Bus oder Bahn der Sitzplatz neben ihm der letzte freie in der Rush Hour sei, der frei bliebe. Außerdem erzählte er, dass selbst mein Neffe ihn immer noch sehr skeptisch beäugen würde, obwohl er wirklich oft vorbeikommt.
Es ist ein bisschen verständlich, dass ein junger Mensch, der zwischen lauter weißen Kartoffeln aufwächst, den Afrikaner erstmal als Verwirrung wahrnimmt. Aber das muss man ja nicht so hinnehmen. Also bekommt der Neffe nun diese Puppe.
Ein paar weitere Erlebnisse hatte ich mit alltäglichem Rassismus übrigens auch bei der Herstellung dieser Puppe. Natürlich brauchte ich Jersey für den Körper. In sämtlichen Stoffläden gab es Puppenjersey in "hautfarbe". WTF!?!?! Dass es diesen "Begriff" für diese Farbe noch gibt, finde ich erschreckend. In der Schule gewöhne ich meinen Lernenden das ganz schnell ab. Das heißt- wenn überhaupt- "Fleischfarbe". Ebenso spielte sich folgende Szene beim Materialkauf ab:
Frau Jule steht am Garnregal, weil sie noch Zwirn für die Haare brauchte. Durch die Kurzwarenabteilung krakelt eine Frau mit Kind im Schlepptau: "Jetzt suchen wir schnell noch das hautfarbene Garn und dann geht es ab nach hause! Hilf mir suchen!"
Direkt im Gang hinter mir fanden sie, was sie suchten.
Kind: "Mama! Hier ist hautfarbe!"
Mutter: "Ja, sehr gut, das ist hautfarben!"
Ich: "Entschuldigung, welche Farbe meinen sie?"
Mutter: "Hautfarben." und hält mir die Garnrolle unter die Nase.
Ich: "Wessen Hautfarbe?"
Mutter: "Na seine." Und zeigt auf ihren Sohn.
Ich: "Weil seine Hautfarbe die von allen Menschen auf der Welt ist?"
Mutter: "Wie heißt es denn dann?"
Ich: "Das nennt man Fleischfarben. Nur mal so zum Nachdenken."
Mutter (mit leicht aggressivem Unterton): "Na, man kanns ja auch übertreiben!"
An dem Punkt konnte ich nicht mehr. Ich ertrug das nicht, war fertig, wollte aufs Sofa und Little John die Haar knüpfen. In Punkto alltäglichem, vermeintlich gesellschaftlich akzeptiertem Rassismus kann man nicht übertreiben. Oder? Nein, blöde Frage, natürlich nicht! Den aggressiven Unterton vernimmt übrigens häufiger, wenn man seine vermeintlich weitergedachten Gedanken äußert. Das passiert mir irgendwie öfter...
Kurzzeitig war Little John übrigens auch mal Punker, der hätte der Muddi in der Kurzwarenabteilung sicherlich was erzählt. Mit Hilfe von.... pst, Veraffungsschutz.... hehe.
Hoffentlich kommt Little John gut an. Ich werde ihn bei meinem nächsten Besuch im Rheinland einpacken und höchstpersönlich überreichen. Auf die Reaktion bin ich gespannt.
Die Puppe ist übrigens weitestgehend ohne Anleitung genäht. Ich habe das schonmal vor gefühlten 209 Jahren in der Schule gemacht. Lediglich bei den Haaren habe ich mir
hier Hilfe geholt. Das Material ist komplett vegan, d.h. ich habe bei Füllung und Haaren nicht auf die traditionelle Wolle zurückgegriffen. Körper und Gesicht habe ich in alter Waldorfpuppentradition bewusst so einfach wie möglich gehalten. Mehr Interpretationsmöglichkeiten für das spielende Kind. Ein paar mehr Klamotten bekommt er auch noch. Das dann ein anderes Mal. Ob ich die Haare nochmal schneide oder nicht, weiß ich noch nicht. Im Zweifel erledigt das mein Neffe mit der Bastelschere eh früher oder später selbst.
Jetzt wandert der Kleine John rüber zum
Creadienstag und in die
Made4Boyssammlung, denn dass auch Jungs mit Puppen spielen dürfen, versteht sich wohl von selbst. Mit Robin Hoods treuestem Begleiter gegen Rassismus und Geschlechtskonstruktivismus! Für Inklusion! Basta!