Donnerstag, 8. November 2018

Literatur # 5. 18


 Lesen ist immer noch schwierig. Mir fehlen irgendwie Zeit und Konzentration. Still sitzen kann ich auch nicht. Zudem mag ich eigentlich vor allem keine klugen Bücher mehr lesen. Ich kann das gerade nicht ertragen. Bisweilen kann ich es kaum noch an mir halten, ständig zu klugscheißern. Niemand mag Klugscheißer. Und vor allen keine Klugscheißerinnen. Darum eher sanfte Literatur dieses Mal.


 Fiel mir in der Ratgeberecke im Buchladen in die Hände. Ich mochte es. Ein bisschen Wissensauffrischung über Resilienz, erklärt mit netten Illustrationen und nicht zu viel Text. Sicherlich eine schöne Verschenkesache, für Menschen, die damit noch nie in Berührung kamen und die es nötig haben oder hätten.


 Vorletztes Mal hatte ich "Die Tochter des Schmieds" hier präsentiert. Eine Wiederholungstat im leserischen Sinne. Die ganze Geschichte ist aber eine Trilogie. "Heimstraße 52" habe ich vor Jahren schon gelesen. Der Vollständigkeit halber dann aber jetzt nochmal. Ich mochte es immer noch in diese Geschichte von Gül einzutauchen. Wie sie aus der Türkei in Deutschland ankommt, ihren Weg findet. Der Kampf um ihre Kinder, mit ihrem Mann. Diese geduldige, kluge Frau, die sich im ständigen Kampf mit der Zurückhaltung befindet. Und doch ist soviel warme milde Liebe für alle in ihrer Umgebung übrig. So viel Nachsicht. Manchmal ein wenig zu viel. Doch auch für den lesenden Menschen springt etwas davon über. Eintauchen in das Ankommen in der fremden Welt. Den Spagat zwischen alt Geliebtem und neuen Entwicklungen. Neue Entdeckungen, alte Verluste. Ach schwierig das Alles. Es schwingt so viel mit in dieser Geschichte, die es einem doch so leicht macht, in sie einzutauchen.
 "Gül sitzt zu Hause und lässt sich von Fragen gefangennehmen, auf die es keine Antworten gibt und die einen immer weiter hinaustreiben in ein Meer aus Verlangen. Melancholie, eine Beschäftigung, um die Leere nicht zu spüren." (S. 230)  
 "Die Zeit heilt keine Wunden, sie lässt einen nicht Schmerzen vergessen, sie begräbt sie nur unter noch mehr Leben, aber genau wie der Klang, einmal ausgesprochen, für immer in der Welt ist, bleiben die Schmerzen in alle Ewigkeit bestehen. Sie schwingen nach, und selbst wenn man glaubt, man habe sie vergessen, dann holt eine Musik sie hervor und reibt sie ans Herz, als wären sie glühende Kohlen, die man mit Nägeln gespickt hat. Herzen brechen nicht, auch wenn man das so sagt, genauso wenig wie Klänge und Schmerzen verschwinden. Herzen sind weich, sie können nicht brechen, sie werden nur schwerer und schwerer, und Gül glaubt ihres manchmal kaum noch tragen zu können." (S. 248f) 


 Der dritte Teil der Trilogie erschien im vergangenen Jahr. Der Bücherwurm schickte mir ein Exemplar und es lag so lange unangetastet auf meinem Bücherstapel. Erschreckend. Dann im letzten Urlaub an einem Regentag habe ich es eingeatmet. Und es war wieder so tröstlich. Die Gül in dem Buch ist immer noch klug, geduldig, weise und immer noch voll mit einer gütigen Liebe, die einem aus jeder Zeile entgegenquilt und einhüllt. Es geht wieder von der Türkei nach Deutschland und wieder zurück in die Türkei. Begegnungen, Verluste, Tod, Enttäuschungen, Verrat und Betrug. Leben eben. Doch so poetisch verpackt. So oft haben mir die Zeilen die Tränen in die Augen getrieben. Es war nicht leicht zu lesen, aber danach war es irgendwie leichter. Dieses Buch hat mir wahrhaftig das Herz gestreichelt. Vielleicht hatte ich in dieser Trilogie die engste Verbindung mit dieser alten Gül. Mehr als mit der aus "Die Tochter des Schmieds". Aber auch die anderen Frauen, die in Güls Leben auftauchen fand ich spannend. Weise, erfahrene, alte Frauen faszinieren mich. Selim Özdogan hat hier eine ganz besondere geschaffen. Dennoch hätte ich diese Figur ohne die Bände vorher wohl nicht so sehr durchdringen können.
 "[...],es wird schwer werden für dich[...]. Aber man stirbt nicht. Man bricht auch nicht zusammen. Man geht eine Zeit gebückt. Man flucht auf das Leben das Los, das man gezogen hat, man flucht auf diese Schlampe von Schicksal und fragt sich, womit man das verdient hat, man glaubt, man wird sterben, ehe diese Wunde verheilt, man wird sterben vor Qual und Trauer. Machen wir uns nichts vor. euch steht eine dunkle Zeit bevor. Es wird sich anfühlen, als wäre alles Leben verbrannt und du würdest nur noch mit der Asche dasitzen und sich fragen, ob deine Knochen jemals wieder warm werden können, ob sie sich jemals wieder mit Liebe füllen werden. Niemand kann euch das ersparen. Aber ich bin hier und werde auch dann hier sein, damit du sehen kannst, dass man auf den Füßen bleiben und den Rücken gerade halten kann." (S. 59f)


 Man könnte ja mal meinen, das sei genug schwere Literatur gewesen. Aber nein. Dieses war das letzte Buch, das wir im Lesekreis gelesen haben. Eine Geschichte, wie sie in einem der Szeneviertel in Hamburg vermutlich täglich in Echt zu finden ist. Ein Paar, dass sich mit den Wirren des 30+ Leben herumschlägt. Mit Existenzsnöten, selbst- und fremdgestellten Erwartungen und Versagensängsten. Schwankend zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zwischenzeitlich dachte ich, das ich das Buch gar nicht lesen muss. Diese Geschichten spielen sich im engeren und weiteren Bekanntenkreis ständig ab. Ich erkannte so vieles wieder. Oftmals wollte ich nur laut aufschreien: "Ihr habt es euch doch so ausgesucht." Doch die Frage ist, ob dem wirklich so ist, oder ob es die Gesellschaft ist, die einen in diese Wege drängt und dann noch die Steine in den Weg schmeißt. Dieses Buch ist die Geschichte, warum die Menschen sich voneinander entfernen, im Kampf den Ansprüchen gerecht zu werden. Dabei erkennen sie aber nicht, dass es auch andere Wege gibt, die gangbar wären. Traurig bisweilen... 
 "Da packt sie die kalte Panik, ihnen wird die Luft ausgehen, ganz egal, wohin sie ziehen, zusammen zu scheitern ist schlimmer als alleine. Wer allein ist, wird nicht beobachtet, muss keine Haltung bewahren, muss sich nicht als Ursache für das nächstbeste Problem fühlen, und die Frage, wer recht oder unrecht hat, ist auch nicht mehr wichtig." (S. 215)


 Das hier werde ich demnächst mal ganz dezent in meiner Klasse rumfliegen lassen. Wie man ein Mädchen wird, bzw. eben auch nicht. In großformatigen Bildern, ein bisschen rosa, ein bisschen comic, wird dargestellt, was Mädchen eben nicht alles tun und lassen müssen, dürfen, können, sollen. Körper, Spielzeug, Kleidung, Superheld*innen. Alles kommt vor. Komplettes feministisches Klischee, aber das schadet ja nicht. Ich würde mir ein solches Buch auch für Jungs* wünschen. So von wegen, weinen dürfen, Nagellack tragen, mit Puppen spielen und schwul sein dürfen. Kann das mal bitte noch schnell jemand machen? Meine Kids wären da gerade in dem Alter sehr empfänglich für.


 Hach, diese Illustratorin. Ich bin im veganen Laden über ihre Postkarten gestolpert, folgte ihr auf dem Instadings und mochte die verschiedenen Menschen mit weiblichen* Anlagen, die sie in all ihrer Diversität so abbildet. Jede Seite in diesem Buch stellt eine Person vor, mit Geschichte und persönlichem Hintergrund. Wiedergefunden habe ich mich da bei einigen. Ein feines Bilderbuch mit Mehrwert.


 Im Buchladen gesehen, im Geiste auf die Leseliste gesetzt und dann bei Sabrina die begeisterte Rezension gelesen. Da musste ich auch mit. Drei Frauen, drei Generationen, drei unterschiedlichste Geschichten, die irgendwie doch miteinander verwoben sind. Ich möchte nach solch einer Geschichte immer geren Soziogramme zeichnen, weil ich es spannend finde. Doch dieses Mal eben einmal mehr nicht. Eine schöne Graphic Novel mit Details an den richtigen Stellen, wohl durchdacht und fein bebildert. Alle notwendigen künstlerischen Register gezogen. Ich habe sie weggeatmet.


 Dieses Kinderbilderbuch war ja tatsächlich mein absolutes Highlight. Es passte so gut zu den Geschichten in den Romanen, in denen immer auch die Einsamkeit mitschwang. Es ist wirklich ein Kinderbilderbuch mit vergleichsweise wenig Text. Doch diese Worte sind so treffend gewählt, wie es nur geht. Die Illustrationen so unfassbar passend. Zum Eintauchen, mitschwimmen, wiedererkennen, trösten. Mir hat es ein bisschen die Sprache verschlagen und ich musste es mehrfach lesen. So traurig und doch so hoffnungsvoll. Ein Kinderbuch über die einsamen, hoffnungslosen Tage im Leben. Aber eben auch über den Trost, der zu finden ist. Aus pädagogischer Sicht sicherlich ein großartiger Einstieg, um mit kleinen und großen Kindern über diese Gefühle zu sprechen. (Freundlicherweise gibt es im Anhang sogar ein paar pädagogische Tips zur Weiterarbeit mit diesen Inhalten) Ich fürchte, ich werde noch sehr viele Exemplare dieses Buches kaufen und weiter verschenken müssen. Für die kleinen und die großen Kinder.

6 Kommentare:

  1. Danke für die super Buchvorstellungen!
    Letzteres werde ich auf jeden Fall besorgen. Unsere Tochter hat solche absoluten Durchhängertage, vielleicht kann sie dann besser drüber reden.
    Liebe Grüße, Angela

    AntwortenLöschen
  2. P.S. seit wann kümmerts dich, ob man Klugscheißerinnen und Klugscheißer mag? Wenn man was kluges zu sagen hat, ist's doch nicht verkehrt.
    und, Wer dich mag, der mag dich auch klugscheißend! Ganz bestimmt.
    Angela,
    Selbst als Klugscheißer bezeichnet, von Leuten die weniger klug sind.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. die leute hören dir dann irgendwann nicht mehr zu, weil sie sich überfordert fühlen. wahlweise unterschätze ich mein wissen einfach und setze dieses auch bei anderen als grundsätzlich vorraus. zu oft ist dem aber nicht so. ist gar nicht böse gemeint. zumindest meine erfahrung mit allen, die nicht meine lernenden sind... meine lernenden wundern sich immer nur, warum ich so viel weiß, finden es aber ziemlich gut. und eigentlich mag ich mich ja gerne mit menschen unterhalten.... ich hadere da gerade ein bisschen. nunja...
      liebe grüße,
      jule*

      Löschen
    2. Ich finde du solltest nicht hadern.
      Ich merke auch immer wieder, dass z.B. meine Allgemeinbildung die manch anderer sehr übersteigt.
      Das ist doch aber nichts schlimmes.
      Man kann das ja ,bevor man es nicht angesprochen hat, gar nicht wissen.
      Für mich ist das kein Thema. Wundern darf man sich allerdings doch von Zeit zu Zeit.
      Niemand sollte sich schlecht fühlen, wenn er weniger weiß, genauso wenig sollte man sich schlecht fühlen, wenn man eine sehr schnelle Auffassungsgabe hat, und eben mehr Wissen abspeichert als andere.
      Deine Lernenden sehen das genau richtig. Sei ihnen ein gutes Vorbild. Nimm dich so an, wie du bist.
      Liebe Grüße an dich, Angela

      Löschen
  3. Zwei der Bücher kenne ich schon - eins wartet noch aufs Rezensiertwerden - , aber du hast schon wieder neue Lesegelüste in mir geweckt!

    Liebste Grüße
    Sabrina

    AntwortenLöschen