Unter dem Label "Kopfkirmes"
gibt es auf diesem Blog hin und wieder lose Wortklaubereien, die sich
im Laufe der Zeit in meinem Kopf zusammengebraut haben. Sie stehen in
keinem Zusammenhang zu den sonstigen Themen hier. Ich weise jegliche
Bezüge zu aktuellen Geschehnissen und autobiografische Zusammenhänge von
mir. Es sind Worte, die aus meinem Herz in den Kopf sprudeln, dort toben
und nach Freiheit verlangen. Teilweise sind die Wortklaubereien älteren
Datums, teilweise auch glänzend neu. Ich lasse sie hier einfach frei. Heute auch in der Mittwochssammlung.
Dornröschens Schlaf (zuerst erschienen hier)
Sie sieht so schön aus, wenn sie
schläft. So friedlich. Schon seit einiger Zeit liegt sie dort,
unbeweglich. Die Rosen vor dem Fenster ranken weiter. In den
Verzweigungen nisten die Vögel. Sie bauen die Nester, legen Eier,
brüten, ziehen die Jungen groß und sorgen dafür, dass sie flügge
werden. Der Regen trommelt ans Fenster, an manchen Tagen knallt die
Sonne unerbitterlich auf ihre weiße Haut, die sich dennoch nicht der
Bräune ergibt.
Unter dem Fenster spielen die Kinder
Cowboy und Indianer. Der Ball prallt öfter an die Mauer, aber
Dornröschen schläft. Sie hört nichts. Andere Erwachsene schimpfen
lauthals mit den Kindern, auch wenn ihre Autos um einiges mehr an
Lärm machen. Das fällt ihnen nicht auf.
Wovon sie wohl träumt? Ob sie
überhaupt träumt? Sie liegt regungslos dort. Sieht nicht den
Regenbogen, sieht nicht die Raben auf dem Dach gegenüber, die um ein
Stück Brot aus der Mülltonne zanken. Hört nicht die Müllmänner
mit den Tonnen klappern. An der Zimmerdecke spinnt die Spinne
ungestört ihr Netz. Doch Fliegen wird sie nicht fangen. Es kommen
keine durch die geschlossenen Fenster. Vielleicht wird sie morgen ein
Netz an Dornröschens Nase spinnen. Denn Dornröschen schläft.
Äpfel mochte Dornröschen so gerne,
früher als sie noch kleiner war. Der Gärtner hatte ihr des öfteren
einen geschenkt, wenn die Herbstzeit nahte und die Äpfel so reich am
Baum hingen, dass sich die Äste bogen. Dann war sie oft auch Drachen
steigen gegangen. Der Wind hatte ihr langes Haar zerzaust. Als sie
älter wurde, begann sie es zu strengen Zöpfen zu flechten, die sich
auch heute noch um ihr Gesicht ranken. Jetzt liegt sie dort und fast
wie die Rosen vor dem Fenster eben jenes verziehren, fallen die Zöpfe
um ihr Gesicht.
Oft hatte sie auch damals die Meisen
beobachtet. Sie mochte sie so gerne. Diese kleinen Tiere, die sich an
den Milchpfützen im Kuhstall stärkten. Wie sie zwitschernd
aufflogen, wenn sich die Katze näherte. Und wie viele verschiedene
Färbungen es von ihnen gab. Blaue und Schwarze, einige mit langen
Schwänzen. Es sind die Meisen, die vor Dornröschens Fenster in den
Rosen nisten. Sie zwitschern ohne Unterlass. Die kleinen beim Flügge
werden, sehr nervös, die älteren beruhigender. Eine Katze kann ihnen
nicht gefährlich werden, dennoch gibt es viel vor dem sie warnen
könnten. Dornröschen schläft.
Als Kind hatte sie eine gesündere Hautfarbe. Heute sind die roten Pausbäckchen einem fahlen Weiß gewichen. Dürr ist sie geworden, man kann die Knochen an jeder Körperstelle sehen, die von ihrem Kleid umspielt werden. Knochig die Finger, das Gesicht fast ein wenig eingefallen.
Die wandernde Sonne zieht die
Schatten der Fensterkreuze in Bahnen auf dem Teppich. Jeden Tag aufs
neue. Nur wenn es regnet wirken sie etwas schwacher auf dem schweren
und leicht verblassten Bodenbelag. In der Sonne wirken die Fenster
auch etwas blind. Sie sind dreckig. Lange hat niemand mehr geputzt.
Auf allem im Raum legt sich eine Staubschicht ab. Dornröschen
schläft.
Im Gegensatz zu den Rosen vor dem
Fenster an der Hauswand, verwelken die Blumen auf dem Fensterbrett
recht schnell. Lange wurden sie nicht mehr gegossen, die braunen
Blättchen nicht mehr gezupft. Auch hier hat die Spinne schon ihre
Spuren hinterlassen.
Ein süßlicher Geruch durchweht den
Raum, in welchem Dornröschen schläft.
Es klopft an die Tür, hämmert schon
fast. Laut und drängend.
„Hallo? Hallo?“, brüllt eine
Stimme von draußen. „Jemand da?“
Kurz darauf das Splittern von Holz,
ein Krachen.
„Polizei! Jemand da? Frau Dorn?“,
der blonde Prinz steht in der Wohnung. Seine blaue Uniform ist keine
Rüstung, sein Schwert eine Pistole. Die Handschellen am Gürtel
klirren, als er hektisch in seiner Tasche nach dem Taschentuch sucht
und es sich vor die Nase presst.
„Verflucht, was für ein Gestank!“,
entfährt es ihm, als er vor Dornröschen steht.
„Peter, wir sind zu spät. Ruf das
Bestattungsunternehmen.“, weist er seinen Kollegen an, welcher
nicht sein Knappe ist.
Ich bin immer wieder fasziniert davon, was in deinem Kopf so los ist :)
AntwortenLöschenLiebe Grüße vom einen Schietwetterort zum anderen!
ja, ich auch :D
Löschenliebst,
jule*
Es ist so traurig, dass das Versterben vieler Leute erst dann jemandem auffällt, wenn der Gestank nach draußen dringt. Nicht die Tatsache, dass man //Frau Dorn// schon seit Tagen nicht mehr am Briefkasten gesehen hat oder so...
AntwortenLöschenNachdenkliche Grüße,
Sabrina
ja, das stimmt. dabei bin ich mir nichtmal sicher, ob das nur ein typisches großstadtproblem ist....
Löschenliebe grüße,
jule*
Vermutlich nicht, nein. Aber ich denke schon, dass es in größeren Wohnkomplexen mit hoher Mieterfluktuation schneller mal passieren kann, dass man tatsächlich nicht genau weiß, wer um einen herum so wohnt und wie es dem geht. Ich habe zum Beispiel wirklich keine Ahnung, wer so zu meinem Haus gehört.
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