Ich habe mir einen Aufnäher gestickt. Ich liebe Aufnäher auf Klamotten. Die einfachste Möglichkeit, ein paar Botschaften unter die Menschen zu bringen. Die meisten, die ich so trage, sind gesiebdruckt. Diesesmal wollte ich aber gerne einen selber sticken.
Entworfen ist der ganze Spaß selbst. Natürlich hatten Marx und Engels ihre Finger auch ein bisschen im Spiel. Übertragen habe ich die Vorlage zum Sticken diesmal mit Hilfe von Kopierpapier. Dieses mit Kreide(?) beschichte Papier, dass man eigentlich zum Kopieren von Schnitten nutzt. Letztes Mal habe ich ja Butterbrotpapier als Hilfe genutzt, doch bei der kleinen Schrift klappt das nicht. Man reißt den Faden beim Papierabpuhlen nämlich gleich mit raus und alles war umsonst. So ging es aber auch sehr gut. Vielleicht mache ich das jetzt immer so. Das Kopierpapier verwende ich ansonsten eh nicht mehr.
Stickrahmen drum, Stopffüßchen drauf, Stofftransport aus und los.
Von hinten. Einmal mit der Ovi und komischer Fadenspannung abgegekettelt. So kann ich ihn leichter auf die Jeansjacke nähen.
Die Idee für diesen hier, kam mir mit einem Video von Dr. Phil. Doch bereits in den Vorbereitungen für diesen Aufnäher kam mir ein paar mal ein bisschen was hoch. Ich war im Netz auf der Suche nach Inspirationen für das Gestaltung des Schriftzugs. Gebt mal "Gutmensch" in eure Suchmaske für die Bildersuche ein (besser nur die angezeigten Bildvorschauen ansehen und nicht draufklicken). Naziseiten, -bilder, -propaganda. Teilweise der ekelhaftesten Kategorie. Irgendwo ist mir verloren gegangenen, dass Nazis den Begriff des bzw. den "Gutmenschen" gerne als Feindbild benutzen. Erscheint natürlich total bescheuert. Allerdings ist auch bekannt, dass ich mit allem, was auch nur ansatzweise nach braunem Mist riecht, ein ernsthaftes Problem habe. Zu lesen hier, hier und hier. Ich überlege nun also, ob es wirklich schlau von mir ist, mit diesem Begriff auf der Schulter durch die Gegend zu laufen. Ich bin ja gerne und ernsthaft ein guter Mensch und einige andere sicherlich auch. Dieser Aufnäher ist ja auch ernst und null ironisch gemeint. Außerdem mag ich das herrlich geschlechtsneutrale des GutMENSCHEN. Aber es ist eben auch ein Begriff aus dem Nazisjargon. Mit der Umdeutung von Symbolen ist das aber immer so eine Krux. Aus meinen Dharmapunxzeiten weiß ich, dass es auch eine Strömung gibt, die die Swastika von der Nazisymbolik loslösen möchten. Sie tragen sie als Anhänger und auf Shirts, klären auf und lassen sie sich sogar tätowieren. Dass diese Strömung vornehmlich von weißen, westlichen Menschen vorrangetrieben wird, ist auf einem anderen Blatt zu diskutieren... Allerdings kleben in Hamburg auch überall Aufkleber mit Sprüchen wie "Volk dich ins Knie" und so. Hier wird ja durchaus auch Nazisprech gegen eben jene angewandt. Ach, ich weiß es nicht.... Den Gutmenschen den Nazis entreissen und für die eigenen Zwecke nutzen? Kann das funktionieren? Ist das schlau? Was meint ihr?
Vielleicht habe ich auch zu sehr meine Deutschlehrerin im Kopf: "Frau Jule, sie denken zu viel." Vielleicht nähe ich diesen Aufnäher erstmal auf meine Jeansjacke und gehe damit in Hamburg auf die Straße. Sollte sich da jemand zum Diskutieren finden und mich vom Gegenteil überzeugen, kann ich ihn ja auch wieder abtrennen. In Hamburg laufen ja zu genüge schlaue, linke und denkende Menschen herum. Mal sehen. Feldversuch. Auch in der Donnerstagssammlung.
Hilft es dir, dass ich ganz breit grinsen musste, als ich den Aufnäher gesehen habe?
AntwortenLöschenWürde ich dir unbekannterweise über den Weg laufen und mich gerade ausgesprochen outgoing fühlen, würde ich dich wahrscheinlich wirklich drauf ansprechen und dir ein Kompliment machen.
Kann ich ja so zum Glück auch: Ich mag deinen Aufnäher. Die Verbindung von Nazischlechtsprech und linkem Aufruf gefällt mir.
Ich persönlich mag die Umdeutung von Nazisymbolen und Co.
Was die Swastika betrifft: Dass an der Rehabilitation hauptsächlich weiße, westliche Menschen beteiligt sind, hab ich eigentlich immer darauf zurückgeführt, dass das Symbol halt in erster Linie in dieser Weltgegend missbraucht wurde, während es anderswo vielleicht nie in dem Maße als Nazisymbol wahrgenommen wurde, sondern in seiner traditionellen Form stärker im Bewusstsein geblieben ist? Ist aber jetzt nur so mein Eindruck, ohne ihn durch ordentliche Recherche in irgendeiner Form stützen zu können. Ich fürchte jedenfalls so oder so, die ist verbrannt.(Aber Triskelen und sonstige nordisch-keltischen Motive zu "rehabilitieren" ist da ja auch ein Ansatz, der häufiger vorkommt.)
Liebe Grüße,
Sabrina
ja, ich denke, du hast recht und recht und recht. danke für deine lange und liebe rückmeldung. evtl. solltest du dir auch einen sticken ;)
Löschenliebst,
jule*
Danke dir! Und ja, das sollte ich wohl machen. :D
LöschenLiebe Grüße,
Sabrina
Ich glaube du musst dir da nicht einschießen. Drauf auf die Jacke und gut fühlen. Ich bin nun schon mehrere Male als GUTMENSCH belächelt,abgetan und auch beschimpft wurden. Nachgefragt: zu gut, zu freundlich, zu sozial, zu geduldig, zu emotional, blablabla...So, Fazit: her damit...das bin ich mit Herz und Seele. Und du doch auch, sonnst würde ich hier nicht lesen und mir so manchen grauen Tag von deinem Schreibkram sonnig werden lassen. Wenn so ein Typ zu seiner Typin sagt "ich finde dich dufte" dann sage ich das trotzdem auch, auch wenn mir der Typenkram Kacke ist. Das Wort an sich kann leider nichts für die Münder, aus denen sie heraus gesprochen werden. Mädchen, werf die Jacke rüber und komm in die Sonne.
AntwortenLöschenLiebe Grüße obendrein und von Herzen Dank für deine Aufrichtigkeit. Doreen.
oooooohhh, da wird mir aber warm ums herz. danke für so viele liebe und richtige worte! und jetzt: ab damit auf die jacke. die musste vorher noch gewaschen werden ;)
Löschenliebe grüße,
jule*
Liebe Frau Jule, ich habe mich lange als Gutmensch empfunden und wohl gefühlt, denn ich bin von kleinauf so geprägt, dass ich gut sein soll.
AntwortenLöschenIch habe den negativen Gebrauch des Wortes erst erfahren durch entsprechende böse Kommentare auf Posts ( wenn ich in die braune Sch... im Internet stoße, zwinge ich mich immer zur sofortigen Flucht ).
Ich bin sauer, dass uns immer mehr Worte, Begriffe entrissen werden von Populisten, Trumpisten, Erdoganisten usw. und die Inhalte von denen in deren Sinne verdreht werden. ( Klar, DIE sind ja jetzt die Revolutionäre, die Avantgarde! )
Ich finde es gut, dein Statement. Ich finde es gut, ein guter Mensch zu sein, nämlich einer, der seine Mitmenschen nicht als Feind ansieht und mit ihnen friedlich auskommen will in unserem kurzen Erdenleben. Ich reklamiere den Begriff für mich. Man kann ihn auch den Nazis wieder entwenden.
Hast du Klemperers "LTI" gelesen? Da geht es auch um das Usurpieren der Sprache...
Solidarische Grüße!
und auch du hast recht. vor allem mit dem sauer werden. erobern wir uns die guten dinge zurück! richtig!
Löschenund nein, klemperer habe ich nicht gelesen. sollte ich wohl. danke für den tip. frau postriot hat es sicher in ihrer bibliothek. die ist auch so ein sprachgenie.
liebe grüße,
jule*